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TRÄNEN LÜGEN NICHT

St. Georgen – Was bringt Erfolg im Fußball? Taktik? Technik? Training?  Allesamt wichtig, aber am Ende sind es Gefühle und Leidenschaft, die zum Sieg führen. Das zeigt ein Gespräch mit Patrizio Morini, dem Coach der frischgebackenen Italienpokalsieger vom ASC St. Georgen.
Sein Glauben sei schon noch da gewesen, sagt Patrizio Morini. Der Glaube daran, dass sein Team noch zwei Tore schießen könne. Drei Minuten noch bis zum Schlusspfiff, Morini und seinem Team, den Fußballern des ASC St. Georgen, steht das Wasser bis zum Hals. Sie brauchen ein Wunder. Was bleibt Morini anderes übrig, als zu hoffen und zu glauben? Nur ein Wunder kann sie noch retten.

Patrizio Morini wirkt seltsam ruhig, während er von seinen Erinnerungen an die dramatischen Schlussminuten im Halbfinale des Italienpokals gegen Massa Martana erzählt. Ein Spiel, das nunmehr schon zwei Wochen zurück liegt und über das er wohl deshalb so auffallend stoisch spricht, weil es nur das Vorspiel war zu jenem Ereignis, das ihn und seine Mannschaft vor zwei Tagen zu Legenden des Südtiroler Fußballs gemacht hat.  Vorgestern nämlich hat der ASC St. Georgen Fußballgeschichte geschrieben. Morinis Mannschaft ist es als erstem Verein der Provinz Bozen gelungen, den Italienpokal für Oberligisten zu gewinnen. Die Krönung eines Fußballmärchens war das, was den ‚Jerginan‘ mit ihrem 2:0 Finalsieg gegen Vigor Trani gelungen ist. Das Happy End einer acht Jahre dauernden Reise und für Morini der Höhepunkt einer langen, stetigen Entwicklung:  „Wir sind als Mannschaft gewachsen. Ich bin in all diesen Jahren als Person gewachsen. Ich finde ja, man sollte nie stehenbleiben, nie aufhören zu lernen, sondern sich stets entwickeln und  wachsen.“

Patrizio Morini sitzt auf seiner Trainerbank – in seinem Büro, wenn man so will –  am Fußballplatz in St. Georgen. Wir haben vereinbart uns hier zu treffen, um über das zu reden, was vor zwei Tagen passiert ist. Morini ist ein Mann mit elegantem Auftreten. Ein gebürtiger Vinschger, italienischer Muttersprache, der seit vielen Jahren schon im Pustertal lebt und arbeitet. Er hat etwas Philosophisches an sich, wenn er von Fußball spricht. Man merkt sofort, dass er jemand ist, der mit allen Sinnen in diesem leidenschaftlichen Sport aufgeht. In dieser Märchenwelt namens Fußball, die Geschichten schreibt, die uns mitreißen, uns verzaubern und manchmal am Ende sogar mit einem Wunder belohnen – so wie im Spiel gegen Massa Martana. Ein Wunder nämlich – genau das war es, was Morinis Mannschaft brauchte. Es lief die 87. Minute. St. Georgen brauchte noch zwei Tore im Halbfinalrückspiel des Italienpokals und Patrizio Morini glaubte tatsächlich  noch immer daran, dass es seine Mannschaft schaffen könnte.

Die Dramatik dieses Semifinales ist  entscheidend, um zu begreifen, was den Menschen Patrizio Morini ausmacht. Der Fußball-Lehrer, der auch abseits des Platzes als Lehrer arbeitet, schaut einem meist direkt in die Augen, wenn er seine wohl überlegten Antworten gibt. Er ist eine Persönlichkeit, die genau weiß, wie man Ansichten klar und deutlich und doch so leidenschaftlich erklärt. Seine Augen leuchten, als er analysiert, wie die letzten Spielminuten abliefen, wie es seinem Team tatsächlich noch gelang, das Ruder herum zu reißen, das Spiel zu drehen. Die vorletzte Spielminute hatte begonnen, als Alessio Orfanello das Wunder von St. Georgen möglich machte. Er traf, in der 88. und in der 92. Minute, und versetzte sein Team damit in Ekstase. Die Jergina waren im Finale, dank Orfanello, ausgerechnet er, den Morini erst kurz zuvor ins Spiel gebracht hatte.

Daran glauben – das macht den Unterschied aus zwischen Sieg und Niederlage. „Ich glaube immer an meine Mannschaft“, sagt Morini und gestikuliert dabei mit südländischem Elan. Er kenne seine Spieler in und auswendig, er wisse wie sie ticken und was sie können – ein Wissen, das sich Morini im Laufe der letzten acht Jahre angeeignet hat. Vor der Saison 2010/11 verpflichtet ihn Vereinspräsident Georg Brugger als neuen Coach des ASC St. Georgen. Brugger vertraut Morini – den er noch aus gemeinsamen Tagen als Spieler beim SSV Bruneck kannte – und wird dafür reichlich belohnt. Gleich im ersten Jahr gewinnt die Mannschaft die Oberliga und steigt in die vierthöchste italienische Spielklasse, die Serie D auf, wo St. Georgen zwei Jahre lang zu bestehen weiß. Unter Morini holen die Jergina dreimal den Landespokal, werden drei Mal Pokalsieger auf Regionalebene und machen bei Ihren Auftritten im nationalen Pokalbewerb „das Wappen Südtirols in ganz Italien bekannt“, wie Morini nicht ohne Stolz erklärt. Mit dem Sieg im Italienpokal steigt St. Georgen nun also zum zweiten Mal in die Serie D auf – der vorläufige Höhepunkt der so erfolgreichen Ära Morini. „Ja, wir haben viel gewonnen und viel erreicht“, sagt Morini. „Es waren acht Jahre, in denen mir mein Team überall hin gefolgt ist, aber man darf auch nicht vergessen, dass mich meine Jungs in all dieser Zeit sehr geduldig als Trainer und als Mensch ertragen haben“, fügt Morini hinzu und unterstreicht das Gesagte mit einem Lächeln, das durchaus selbstkritisch wirkt.

Rechts im Bild Trainer Morini Patrizio.

Spitzenfußball in St. Georgen.

Die Ära Morini – eine Zeit in der der ASC St. Georgen gelernt hat, mit schwierigen Situationen umzugehen. Trainer und Team sind zusammengewachsen, so weit, dass sie heute eine Einheit bilden, die im entscheidenden Moment kaum zu besiegen ist. „Quando abbiamo la testa giusta, possiamo fare di tutto“, bringt es Morini auf den Punkt und dann beginnt er vom Finale zu erzählen, vom großen Spiel gegen Vigor Trani, in dem sie Südtiroler Fußballgeschichte geschrieben haben.

„Die Stimmung im ‚Stadio comunale Gino Bozzi‘ von Florenz war überwältigend. Mehr als 2.000 Fans aus Trani machten einen Höllenlärm, als wir das Spielfeld betraten. Wir aber hörten vor allem die Schlachtrufe unserer Fans. „Auf geht’s, Manndo!“ es war ein Hexenkessel. Und mittendrin wir, das kleine St. Georgen, im fernen Florenz, im Herzen des italienischen Fußballs, bei einem Finale in dem die versammelte Prominenz aus Politik, Sport und Polizei auf der Tribüne stand. Und meine Jungs – sie lieferten das Spiel ihres Lebens.“

Patrizio Morini beginnt zu schwärmen. Er erzählt mit starker Stimme, wie konsequent und  besonnen seine Jungs in der Höhle des Löwen gewesen sind, wie geschlossen und stark sie aufgetreten sind und davon, dass ihn dabei eine innere Ruhe erfüllt hat, wie er sie selten zuvor in einem Spiel verspürt hat. „Ich habe auf mein Herz gehört. In keinem Moment während des gesamten Finales hat es Zweifel an unserem Sieg gehabt.“

Seine Jungs krönten also die märchenhafte Reise des ASC St. Georgen durch den Italienpokal 2017/18, nachdem man zuvor nacheinander die Friulaner aus San Luigi, den Club Belfiorese aus Verona, die Lombarden von Mariano Calcio und schließlich – in einem hochdramatischen Halbfinale – das umbrische Team von Massa Martana ausgeschaltet hatte.  „Das Finale gegen Vigor Trani war das größte Gefühl in meiner sportlichen Laufbahn“, sagt Patrizio Morini. „Wir haben in einem hochklassigen Spiel auf faire Art und Weise verdient gewonnen. Und als der Schlusspfiff fiel da…“. Es ist der Moment, in dem Morini seinen Blick von mir abwendet und über den grünen Rasen von St. Georgen schweifen lässt. Er ist überwältigt, legt die Hände vor seine Augen und lässt den Tränen der Freude freien Lauf.

Die innere Anspannung fällt nun ab. Wahrscheinlich begreift er erst jetzt richtig, was da wirklich passiert ist, vor zwei Tagen. „Als ich den Trainerposten hier übernommen habe, hätte ich nie, wirklich nie daran geglaubt, dass wir so weit kommen können“, sagt er und sucht wieder den Kontakt zu meinen Augen. Alles erreicht –  Morini und die Fußballer aus St. Georgen sind im Mai 2018 irgendwie am Ende ihrer Reise angelangt. Oder etwa doch nicht? Auf die Frage hin, ob er nach dem Finale jemals daran gedacht habe, zurück zu treten, antwortet er mit einer vielsagenden Episode. „Als wir uns in den Armen lagen, im Siegestaumel nach dem Schlusspfiff, kam einer meiner Spieler zu mir und sagte: Trainer, was sollen wir jetzt tun? Wir haben doch alles gewonnen. Was bleibt jetzt noch? Seine Frage war berechtigt“, sagt Morini,  „und hat mich für den Bruchteil einer Sekunde zweifeln lassen. Aber dann besann ich mich und sagte voller Inbrunst: Hey, wir haben die Serie-D vor uns! Dort zu bestehen, das ist unser nächstes Ziel!“

Es wäre tatsächlich seltsam, sich einen Patrizio Morini fernab der Trainerbank vorzustellen. Wenn man mit ihm so sitzt, am Spielfeldrand des Rasenplatzes in St. Georgen und über Fußball spricht, dann spürt man, dass Morini diesen Sport  mit Leib und Seele liebt und ohne ihn wahrscheinlich gar nicht existieren könnte. Er muss einfach weiter machen, und zwar genau hier, beim ASC St. Georgen. Dort wird man wohl alles Erdenkliche tun, um Mister Morini noch für viele Jahre als Trainer zu halten. Nicht nur der Erfolge wegen, sondern vor allem deshalb, weil Patrizio  ein Mensch ist, der dem Fußball Gefühl und Grandezza verleiht. Morini gehört hier her. „Ich bin ein Teil dieses Vereins“, sagt er zum Abschluss unseres Gesprächs und legt dabei seine rechte Hand aufs Herz. „Ich bin einer von Ihnen.“
(RAFE)