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Astrid Summerer aus Sexten

„Von Tieren kann der Mensch das soziale Verhalten sowie die Zufriedenheit und Genügsamkeit lernen.“

 

Astrid Summerer übt einen Beruf aus, der in Südtirol so gut wie vergessen ist: Sie ist Hirtin. Seit zehn Jahren verbringt die 49-Jährige den Sommer auf Almen, die letzten zwei Jahre hütete sie auf einer Schafalm in der Schweiz inmitten eines Wolfsgebietes.

Wie sieht Ihr Almtag aus?
Letzten Sommer auf Alp Ramuz hütete ich über 400 Schafe von 23 verschiedenen Besitzern. Bei Tagwerden gegen 5 Uhr füttere ich die Hunde, entlasse die Schafe aus dem Nachtpferch, schaue, ob bei den Tieren alles in Ordnung ist und treibe sie in den jeweiligen Weidesektor, welcher nach ein paar Tagen gewechselt wird. Ein früher Aufbruch auf die Weide ist wichtig, damit die Schafe 12 bis 14 Stunden frei laufen und fressen können und am Ende des Sommers gesund und wohl genährt ins Tal kommen. Dann frühstücke ich. Die Zäune müssen täglich kontrolliert und für den Abend muss der Nachtpferch vorbereitet werden, der auch immer wieder neu angelegt wird. Die Schafe beobachte ich ständig, denn es ist wichtig, die Herde homogen zu halten. Kranke oder schwache Tiere pflege und behandle ich. Gegen Abend werden die Schafe wieder in den Nachtpferch getrieben und die Hunde gefüttert. Der Hirte muss sich auf den Rhythmus der Tiere anpassen und nicht umgekehrt. Falls die Nachtpferche zu weit von der Hütte entfernt sind, lebe ich für einige Tage auch im Zelt, um immer in der Nähe der Herde zu sein.

Ihre Alm lag mitten in einem Wolfsgebiet…
Auf Alp Ramuz hütete ich in Koppelbeweidung, ich war allein mit sechs Herdenschutz- und Hütehunden und mitten im Gebiet des Calanda-Rudels von etwa 15 Wölfen. In meiner Herde hatte ich keinen einzigen Wolfsriss zu verzeichnen und habe auch nie einen Wolf gesehen, obwohl ständig welche in Fotofallen gingen. Zwei erfahrene Hunde hielt ich stets innerhalb des Nachtpferches, die anderen außerhalb. Bei Nebel oder nachts hörte ich oft die Hunde aggressiv bellen, was für die Wölfe, ebenso wie der Geruch von Menschen, abweisend wirkt. Logisch präsentieren sich für den Wolf die Schafe wie auf einem Silbertablett serviert, das Calanda-Rudel hat aber gelernt, dass das Risiko einer Jagd nicht rentabel ist, solange der Mensch und die Herdenschutzhunde da sind. Wölfe sind gute Beobachter und greifen nie blindlings an.

Kann man den Beruf des Hirten lernen?
Ja. Ich besuchte in der Schweiz eine zweijährige Schafhirtenausbildung mit Praktikum. In Deutschland gibt es eine dreijährige Berufsschäferausbildung. Früher gab es den Beruf auch bei uns, und das Wissen wurde von Generation zu Generation weitergereicht. Ich bin auch im Schweizer Verein Herdenschutz und werde bald die Hundezüchter- und Halterweiterbildung machen, um dann mein Wissen als Herdenschutzhunde-Ausbildnerin weitergeben zu können. Esel und Lamas eignen sich übrigens auch für den Herdenschutz. Eigentlich bin ich ausgebildete Köchin, Tiere haben mich aber schon immer fasziniert. Vor zehn Jahren verdiente ich zum ersten Mal im Sommer mein Geld als Hirtin und diese Passion hat mich nicht mehr losgelassen.

Welches sind die größten Herausforderungen?
Man muss ein Verantwortungsbewusstsein den Tieren gegenüber haben und das Leben in freier Natur lieben. Es gibt keinen Ruhetag und die Arbeit ist bei jedem Wetter zu tun. Die Arbeit ist körperlich anstrengend und bei tagelangem Regen, Nebel und Schnee stößt man schon an seine Grenzen. Angst hatte ich nie. Mit meinen Hunden fühle ich mich vollkommen in Sicherheit. Und allein das Beobachten der Tiere gibt mir so viel Freude und manchmal glaube ich, ihre Sprache zu verstehen. Vom Tier könnte der Mensch so viel lernen, seine Naturinstinkte, das soziale Verhalten, die Zufriedenheit und Genügsamkeit. Was mir aber schon zu schaffen macht, ist die Einsamkeit, wenn du wochenlang keine Menschenseele siehst und mit niemand reden kannst. Die große Einsamkeit ist ein Prozess, wo man sich selbst besser kennenlernt.

Sind sie eine, die mit dem Wolf tanzt…?
Ich bin nicht für und nicht gegen den Wolf. Meine Arbeit als Hirtin ist, die Schafe zu hüten. Ich habe mich aber intensiv mit dem Wolf befasst, um seine Biologie und sein Verhalten zu verstehen, weil man nur Strategien entwickeln kann, wenn man ihm einen Schritt voraus ist. Dazu besuchte ich zwei Wolf-Seminare, wo Erkenntnisse aus jahrzehntelanger, weltweiter Wolfsforschung gelehrt wurden. Unsere Ansicht über den Wolf ist vielfach im Mittelalter stecken geblieben und dessen Ausrottung erfolgte systematisch, genauso wie die des Bartgeiers, weil er angeblich Kinder tötet, obwohl er ein Aasfresser ist. Die heimischen Wildtierarten kommen nun wieder in ihren ehemaligen Lebensraum zurück und wir müssen schauen, wie wir damit zurechtkommen. Sie erneut systematisch zu töten ist keine Lösung. Problemtiere müssen freilich eliminiert werden, die gibt es aber bei Haus- und Nutztieren genauso.

Wie sehen Sie das Problem Wolf in Südtirol?
Was mich ärgert ist, wenn in sozialen Medien auf emotionaler Ebene herumdiskutiert wird, ohne sich jemals ernsthaft mit den Fakten befasst zu haben. In Südtirol braucht es noch viel Aufklärungsarbeit. Eine Behirtung für 100 Schafe rentiert sich nicht, aber wenn sich mehrere Halter zusammentun, ist sie möglich. Natürlich stößt Herdenschutz auch an seine Grenzen, aber ohne geht es nicht mehr. Herdenschutzhunde müssen gefördert und Herdenschutz unterstützt werden. Die Schweiz ist uns weit voraus und wir können von den jahrelang gesammelten Erkenntnissen lernen und beginnen, diese Konzepte auch bei uns umzusetzen.
(IB)