Der Gsiesertallauf erlebt 2017 seine 34. Auflage. Der Langlauf-Klassiker ist Anziehungspunkt für Profis und Amateure. Norbert nimmt zum dritten Mal daran teil – mit klaren Zielen, auf der Suche nach dem optimalen Rhythmus und mit Respekt vor plötzlichen Einbrüchen.
Norbert ist ein Mann, der seine sportlichen Leistungen nicht gerne an die große Glocke hängt, der es bevorzugt anonym zu bleiben. Deshalb hat der darum gebeten, seinen richtigen Namen nicht zu erwähnen. Es geht ihm nämlich um den Sport, nicht um Aufmerksamkeit oder Applaus. Langlaufen ist sein Ding und wenn aller guten Dinge drei sind, dann dürfte Norberts Vorhaben diesmal von Erfolg gekrönt worden sein. Der Puschtra sprach wenige Tage vor dem Rennen mit dem Langläufer, der sich ein ziemlich konkretes Ziel dafür gesetzt hat. „Ich möchte ganz einfach besser laufen als letztes Jahr“, so seine Marschrichtung „denn 2016 war ich um ehrlich zu sein nicht ganz zufrieden. Da war ich doch beträchtlich langsamer als bei meiner Gsieser-Premiere im Jahr 2015.“ So was kann ein ehrgeiziger Sportler wie Norbert nicht auf sich sitzen lassen. Dem gebürtigen Pusterer geht es also darum eine ‚Schmach zu tilgen. Für diese Wiedergutmachung hat Norbert letzthin ziemlich viel Zeit investiert und Engagement gezeigt. Er möchte die Chance auf sportliche ‚Satisfaktion‘ unbedingt nutzen. Daran besteht nur wenig Zweifel, denn Norbert ist so was wie die Zielstrebigkeit in Person, ein sportlicher Tausendsassa, der binnen kürzester Zeit Großartiges vollbringen kann. Beispiel gefällig? Vor wenigen Jahren konnte er noch nicht mal richtig langlaufen. „Ich war damals auf der Suche nach einer Herausforderung, nach einer neuen Sportart“, erzählt der 39-Jährige. Gesagt, getan und so nahm er sich ein paar Übungsstunden bei einem Langlauflehrer. Als die Balance auf Skiern halbwegs stimmte und die Schwünge mehr oder minder gut liefen, schrieb er sich ganz nonchalant beim legendären ‚Gsieser‘ ein.
SEIT JEHER SPORTLICH
„Ich glaube, es ist mein ‚Biss‘, mein innerer Antrieb also, der mich solche Herausforderungen mit Begeisterung annehmen lässt“, meint der groß gewachsene Athlet. „Dieser Elan wurde mir quasi in die Wiege gelegt. Schon meine Eltern waren immer sehr sportlich. Das hat höchstwahrscheinlich auf mich abgefärbt, und zwar von Kindesbeinen an. Soweit sich meine Eltern erinnern können, war ich seit jeher ein lebendiger
‚Hupfauf‘.“ Norberts Unermüdlichkeit treibt ihn noch heute zu Höchstleistungen. Die Leiden, die damit verbunden sind, nimmt er billigend in Kauf. Und seine Leidensfähigkeit in der Loipe wird wohl auch diesmal auf die Probe gestellt, vermutet er, denn trotz aller Vorbereitung gebe es beim ‚Gsieser‘ immer wieder Momente des Zweifels, des Ankämpfens gegen Erschöpfung.
Wen wundert’s? Der ‚Gsieser‘ ist nämlich ein Wettkampf der Extraklasse, ein Großkaliber im Langlaufsport, der es nach wie vor in sich hat. 2016 nahmen mehr als 2.000 Langläufer die 42 km (Langdistanz) bzw. 30 km (Kurzdistanz) lange Strecke in Angriff. Die Loipe zwischen St. Martin, Pichl und St. Magdalena ist ein Parcours mit Anstiegen und Abfahrten, mit Hochgefühlen und Durststrecken. „Ein Rennen wie der ‚Gsieser‘ ist mit sehr viel innerer Überwindung verbunden. Die zahlreichen Kilometer gehen an die Substanz und man muss dabei unwillkürlich ans eigene Limit gehen “, erklärt Norbert. Seiner langjährigen Erfahrung in verschiedenen Sportarten sei Dank, gelingt es ihm auf dem schmalen Grat zwischen sportlicher Höchstleistung und athletischer Ausbeutung gekonnt zu balancieren: „Sport ist eine gute Lebensschule. Egal ob beim Langlaufen, beim Bergsteigen oder bei Radrennen, es sind genau solche Wettkämpfe, die dich demütig machen. Mann kann daraus viele und vielfältige Lehren ziehen – über sich selbst und nicht zuletzt über seinen eigenen Körper. Seine eigenen Grenzen ausloten ist eine interessante weil überaus lehrreiche Erfahrung.“
HÖHEN UND TIEFEN
Wenn er beim Gsies an den Start geht, freut sich Norbert ganz besonders auf die einzigartige Rennatmosphäre. Kurz vor dem Startschuss, wenn alle wie gebannt sind und die Luft geradezu vibriert, weil alle aufgeregt sind und konzentriert. „Man kann die Wettkampf-Stimmung dann förmlich spüren und mit allen Sinnen wahrnehmen.“Sobald das Rennen freigegeben ist, löst sich die kollektive Spannung in pure Athletik auf. Gleich zu Beginn teilt sich das Feld in kleinere Gruppen auf. Das ist die Phase, so Norbert, in der man seinen eigenen Rhythmus finden muss. Erst wenn man diesen hat, kann man sich schrittweise in seinen eigenen, alles bestimmenden ‚Fluss‘ begeben. „Die Sache ‚läuft‘, wenn die Bewegungsabläufe reibungslos funktionieren und der Kopf frei ist von störenden Gedanken“, sagt Norbert. „Dann spürst du, wie du von immer neuen, noch stärkeren Kraftschüben angetrieben wirst. Das ist dann Dynamik pur, die optimale Voraussetzung um Spitzenleistungen zu erbringen.“ Dieses Höchst-Level ist jedoch alles andere als selbstverständlich. Im schlechtesten Fall kann auch das genaue Gegenteil eintreten. „Statt Himmel gibt’s im Ausdauersport manchmal leider die Hölle“, weiß Norbert zu erzählen. An solchen Tagen harmoniert dann rein gar nichts. Anstelle des reibungslosen Ablaufes erlebt der Sportler folglich eine Reihe von Tiefschlägen. „Da kannst du froh sein, wenn du es überhaupt noch bis ins Ziel schaffst“, so Norbert.
Um diese Rückschläge zu kompensieren, entwickelt jeder Läufer eine eigene Technik. Norbert meistert seine Durststrecken mit erhöhter Konzentration auf Skitechnik und Atmung: „Krisen gehören zum Sport dazu. Die Überwindung dieser Krisen ist ein elementarer Bestandteil. Mittels solcher Erfahrungen reift der Hobbyläufer zum hartnäckigen Ausdauersportler.“
Langlaufen gleicht also einem Reifeprozess, es fördert die Entwicklung nützlicher Charakterzüge, die für Norbert und wahrscheinlich für die meisten seiner Sportkameraden ganz allgemein von großem Nutzen sind. „Es ist tatsächlich so, dass ich sehr viele Erfahrungen aus dem sportlichen Bereich gewinnbringend auf meine Arbeit umlegen kann, Stichwort Durchsetzungsvermögen, Zielstrebigkeit und Kampfgeist. Was ich im Sport fördere und stärke ist folglich auch im Job ausgeprägter und von Dauer.“ Für Norbert besteht also kein Zweifel: Sportliche Spitzenleistungen und beruflicher Erfolg hängen irgendwo zusammen.
DER GSIESER-TURBO
Gerade deswegen sucht er regelmäßig neue sportliche Herausforderungen. So kann er mittlerweile auf ein beträchtliches Curriculum in Sachen Leibesertüchtigung zurückblicken. „Wie gesagt, ich war schon als Kind ständig auf Achse, es gab für mich kaum eine ruhige Minute. Das hat sich dann irgendwie durchgezogen. Neben Bersteigen und Fußball hat Norbert im Laufe der Jahre eine Leidenschaft fürs Radfahren, fürs Langlaufen und fürs Klettern entwickelt. Er ist das, was man gemeinhin einen echten Allrounder nennt. „Sport gibt mir einfach sehr viel. Dafür investiere ich regelmäßig und ehrlich gesagt sogar ziemlich viel Zeit. Manchmal mehr als zehn Stunden pro Woche. Es taugt mir einfach, aktiv zu sein.“ Im Laufe seines Lebens hat er auf zahlreiche Unterstützer und Wegbegleiter zurückgreifen können. Sein Elternhaus hat seine Umtriebigkeit stets unterstützt. Vater und Mutter haben so ziemlich alles unternommen, um Norberts Sportsgeist zur Entfaltung zu bringen. „Das Fundament verdanke ich meinen Eltern, den Rest haben Trainer und Sportskameraden erledigt. Mein Freude am Sport verdanke ich also mehreren Menschen“, sagt Norbert.
Zur Vorbereitung auf den ‚Gsieser‘ geht Norbert in der heißen Phase, also in den Wochen vor dem Rennen, fast jeden zweiten Tag für eine Stunde in die Loipe. „Die Motivation steigt, je näher das Rennen rückt. Das macht mich noch ein wenig bewegungsfreudiger“, erklärt er. Er vertraut seiner derzeitigen Fitness und setzt auch diesmal wieder auf die Unterstützung des Gsieser Publikums – vor allem dann, wenn er statt einem Hochgefühl durch die sportliche Hölle mit Tiefschlägen gehen sollte. „Die Zuschauer in Gsies sind fantastisch. Sie feuern dich an, sie geben dir Halt. Auf den letzten Kilometern tragen sie dich regelrecht ins Ziel.“ Es sind diese Momente, so Norbert, für die jeder Langläufer lebt, diese Augenblicke, in denen man die körperlichen Schmerzen vergisst und das Gefühl genießt, beim größten Volkslanglauf Südtirols dabei zu sein. (RAFE)
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