80 Prozent der öffentlichen Gelder für unsere Gesundheit werden in die letzen beiden Lesensjahre eines Menschen investiert. Weit günstiger und für uns alle gesünder wäre es, würden bereits im Jugendalter Präventivmaßnahmen ergriffen. Genau dieser Überzeugung sind die Initiatoren der Gesamttiroler EVA-Studie an der Medizinischen Universität Innsbruck. 1.500 Probanden, unter ihnen nun auch über 300 Schüler aus Bruneck, beteiligten sich an der weltweit bisher einzigartigen medizinischen Studie zur Früherkennung von vaskulären Erkrankungen.
„Auffallend war das Interesse der Jugendlichen selbst und das große Engagement der Brunecker Schulen, die sich zur Teilnahme an der Studie bereiterklärten. Dieses Lob kam auch von den Studieninitiatoren, die hervorhoben, dass die Abwicklung hier in Bruneck besonders gut funktionierte“, versichert Professor Ralf Geiger, nunmehriger Leiter der Pädiatrie III an der Medizinischen Universität Innsbruck. Vom April 2012 bis zum März 2017 war Geiger Primar der Pädiatrie am Krankenhaus Bruneck. „Vor meinem Wechsel ins Pustertal praktizierte ich an der Universitätsklinik Innsbruck für Kinder und Jugendheilkunde. Zu dieser Zeit befand sich die EVA-Studie, also ‚Early Vascular Ageing‘, zu Deutsch die frühe Gefäßalterung, noch in ihrer Planungsphase. Bei meinem Wechsel hatte ich schon angedacht, mit Südtiroler Schülern an der Studie teilzunehmen, und das auch den Initiatoren angeboten. Dieses Vorhaben wurde begrüßt, auch weil eine größere Probandenzahl mehr Aufmerksamkeit erregt und bessere Daten schafft. Zudem ist Bruneck für die Abwicklung der Studie besonders gut geeignet, da wir hier eine Zusammenballung der Schulen vorfinden. Die Schüler kommen aus sämtlichen Pustertaler Tälern, was die Untersuchung eines sehr breiten Spektrums an einem Ort ermöglicht.“ Aufgrund der seit 1990 etablierten „Bruneck Studie“, an der auch die Medizinische Universität Innsbruck beteiligt ist, gibt es bereits einen lebendigen Forschungsaustausch mit dem Pustertal. „Unser Austausch mit dem Krankenhaus Bruneck und die große Motivation von Primar Geiger bewirkte, dass wir schon bei der Planung die Pustertaler Probanden in die Studie miteinbezogen“, bestätigt Professor Michael Knoflach, Neurologe an der Medizinischen Universität Innsbruck. Gemeinsam mit Professorin Ursula Kiechl-Kohlendorfer, Leiterin der Neonatologie an der Universitätsklinik Innsbruck, sind sie die beiden Initiatoren der EVA-Studie.
EVA-STUDIE ANFÄNGE
„1999/2000 haben wir bei der Tauglichkeitsuntersuchung des Bundesheeres in Innsbruck begonnen, die jungen Männer auch auf Gefäßveränderungen hin zu untersuchen und eine Gefäßverkalkung bereits bei den 17-/18-Jährigen festgestellt. 2005 hat eine Untersuchung der Krankenschwesterschülerinnen die gleichen Ergebnisse gebracht. Nachdem immer mehr bekannt wurde, dass Gefäßverkalkung, die sogenannte Arteriosklerose, welche verantwortlich ist für Herzkreislauferkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall, nicht eine Erkrankung des hohen Lebensalters ist, sondern bereits in jungen Jahren beginnt und langsam fortschreitet, war klar, dass wir uns die Gefäßalterung in den frühesten Stadien anschauen müssen. Neben den klassischen Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel, Übergewicht, Cholesterin und Blutzucker interessieren uns auch Zusammenhänge mit Frühgeburtlichkeit und der Ernährung. Gemeinsam haben wir die Gesamttiroler EVA-Studie in Angriff genommen. Im November 2014 war Projektstart mit Jugendlichen in Nordtirol. Untersucht wird für die Studie die Altersgruppe von 15 bis 17 Jahren, und das zwei Mal im Abstand von zwei Jahren. Die Teilnahme ist freiwillig und verlangt die Einverständniserklärung der Eltern. In einem ersten Schritt geht es um die Erfassung von frühen Gefäßveränderungen sowie Risikofaktoren und in einem zweiten Schritt um die Verbesserung von Lebensstilfaktoren“, expliziert Knoflach und betont, „ohne unsere vier Projektpartner, die Tiroler Gebietskrankenkasse, die Tirol Kliniken, der Südtiroler Sanitätsbetrieb und der Milchhof Sterzing in Kooperation mit der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft, die bereit waren, die EVA-Studie zu finanzieren, wäre unser Vorhaben, eine umfangreiche Gesundheitsförderung für Jugendliche anzubieten, nicht realisierbar gewesen.“
TEILNEHMENDE SCHULEN
„Bereits im Frühjahr 2016 wurden die Brunecker Oberschulen von der Medizinischen Universität Innsbruck kontaktiert und zur Teilnahme an der EVA-Studie eingeladen. Ich war zweifach motiviert, daran teilzunehmen. Einmal bekamen die Schüler/innen die Möglichkeit zu einem Rundumcheck ihrer Gesundheitssituation und gleichzeitig lieferten wir damit einen Beitrag zur Grundlagenforschung“, beteuert Karl H. Brunner, Lehrer und Gesundheitsbeauftragter des Sozialwissenschaftlichen und Kunstgymnasiums Bruneck. Weiters beteiligten sich an der EVA-Studie die Technische Fachoberschule Bruneck mit der Gesundheitsbeauftragten und Lehrerin Veronika Sagmeister und das Sprachen- und Realgymnasium Bruneck mit dem Gesundheitsbeauftragten und Lehrer Manfred Steiner. „Dergleichen Projekte an Schulen trägt immer das Kollegium mit, da der Schulalltag unterbrochen wird. Durch eine frühzeitige Planung habe ich versucht, die Umstände so gering wie möglich zu halten, doch mir ist bewusst, dass die Kollegen sehr gefordert waren“, beteuert Brunner. „Die Brunecker Schuldirektionen haben uns nach besten Kräften unterstützt, haben Schulpläne angepasst, damit wir die Schüler aus den Klassen zu den Untersuchungen abrufen konnten, und haben uns die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Die Gesundheitsbeauftragten waren für das Organisatorische zuständig und waren in jeder Hinsicht sehr hilfreich“, bestätigt Geiger.
ENORMER AUFWAND
„Wir sind täglich über zwei Wochen mit einem sechsköpfigen Team für die Untersuchungen von Innsbruck nach Bruneck gefahren. Pro Tag haben wir etwa 40 Leute untersucht. Alles war sehr dichtgedrängt und sehr anstrengend“, gesteht Knoflach. Die Hauptarbeit, so Geiger, begann für das Ärzteteam aber erst mit der Sichtung der Untersuchungsbefunde: „Die Befundbewertungen waren sehr aufwendig, aber auch sehr lohnend. Wir haben zudem eine auf die Schüler angepasste Auswertung vorgenommen: Einmal haben wir die Schulen untereinander in Beziehung gestellt und dann die Pustertaler zu den Nord- und Osttirolern. Es ging vor allem um Ernährung, Blutfette, sportliche Aktivität und Suchtmittelgenuss. Bereits feststellen konnten wir Zusammenhänge zwischen Nikotinkonsum und veränderten Gefäßeigenschaften. Veränderungen, von denen man bisher nicht annahm, dass sie schon in diesem frühen Alter existieren. Natürlich sind diese messbaren Abweichungen bei entsprechender Änderung der Lebens- und Ernährungsweise reversibel. Das ist der Zweck der Studie: Durch Aufklärung beitragen zur Prävention vaskulärer Erkrankungen und zur Förderung des Gesundheitsbewusstseins bereits im Jugendalter“, so Geiger. Für die Schüler/innen dagegen habe sich der Aufwand durchaus in Grenzen gehalten, so Brunner: „Im September gab es eine Informationsveranstaltung, bei der die Schüler/innen von Primar Geiger über die Studie informiert wurden. Hatten sie eine Einverständniserklärung der Eltern abgegeben, nahmen sie Ende Oktober am Untersuchungsvormittag teil. Im Dezember folgte ein Gespräch mit Primar Geiger über die Ergebnisse ihrer Untersuchung. Am 23. März fand dann die Abschlusspräsentation mit der Vorstellung der Gesamtergebnisse statt.“
DER UNTERSUCHUNGSTAG
Am Untersuchungstag fand als erstes die Blutabnahme statt. Dabei wurden u.a. Blutfettwerte bestimmt, Schilddrüsen- und Entzündungswerte und es wurde ein großes Blutbild gemacht. Die Jugendlichen füllten selbständig einen Fragebogen zu den Themen: Gesundheit, Ernährung, Bewegung, Rauchen- und Alkoholkonsum aus. In Einzelgesprächen wurden vom Ärzteteam Gesundheitsdaten über das persönliche und familiäre Risiko für Herzkreislauferkrankungen erhoben. Aus dem Mutter-Kind-Pass, wenn er noch vorhanden war, wurden Daten über die Geburt, das Stillen und den frühkindlichen Gewichtsverlauf entnommen, weil man weiß, dass das Faktoren sind für das persönliche Risiko für Herzkreislauferkrankungen. Parallel zu den anderen Untersuchungen wurde noch das Gewicht, die Größe, der Blutdruck, der Bauch- und Hüftumfang sowie die Pulswellengeschwindigkeit und die Gefäßwanddicke der Halsschlagader mittels eines Ultraschallgerätes gemessen. Hinsichtlich der Daten betonte Geiger: „Es handelt sich hier um eine Ist-Aufnahme, die in dieser Ausführlichkeit, in diesem Ausmaß bisher nicht durchgeführt wurde.“
ABSCHLUSSPRÄSENTATION
„In der Pubertätsphase verschlechtert sich das Gesundheitsbewusstsein drastisch. Die Leute bewegen sich weniger, essen ungesund, trinken zu viel Alkohol und rauchen. Erfreulich ist, dass in Südtirol mit zwölf Prozent deutlich weniger Raucher unter den Probanden sind als in Nord- und Osttirol mit 22 Prozent. Auf diesen großen Unterschied war ich nicht vorbereitet, ansonsten haben mich die Ergebnisse nicht wirklich überrascht“, führt Knoflach an. Was die Bewegung betrifft, schneiden die Nord- und Osttiroler etwas besser ab. Beim Alkoholkonsum findet sich dagegen der gleich hohe Wert von 57 Prozent. „Dieser Wert deutet auf die Legalisierung von Alkohol in unserem Kulturkreis hin. Aus gesundheitlichen Gründen muss uns aber bewusst sein, dass Alkohol schädlich ist“, ermahnt Geiger. Im Bezug auf die gesunde Ernährung verwies Geiger auf die Empfehlung der WHO: Wenig tierische und mehr hochwertige Fette, keine Softgetränke, regelmäßige Bewegung. „Wenn man über sein Risikoprofil gut informiert ist, kann man selbst bestimmen, ob man da noch was draufsetzen will. Weiß ich es nicht, ist es leichter zu rauchen, sich weniger zu bewegen, fetter zu essen und dergleichen. Ganz wichtig ist aber, dass wir immer von Wahrscheinlichkeiten spreche und nicht von definierten Krankheiten. Für den Einzelnen sind keine Vorhersagen möglich, wir sprechen nur vom Risiko für krankhafte Gefäßveränderungen, die bei falscher Lebensweise und Ernährung im späteren Alter zu Tage treten könnten. Wir wissen aber, dass der Boden dafür schon früh bereitet wird und dass man das beeinflussen kann.“
ERFOLG WIRD SICH ZEIGEN
„Gesundheit ist für junge Menschen das Normale. Wenn man Jugendlichen sagt, dass sie ihren Lebensstil ändern müssen, um auf lange Sicht gesund zu bleiben, dann besteht die Gefahr, dass man die Leute nicht erreicht. Aber im Pustertal war dem nicht so. Im Unterschied zu Nordtirol waren hier fast alle Schüler sehr interessiert und zur Teilnahme bereit. Ob nun die Ratschläge umgesetzt werden, wird sich in zwei Jahren bei der Nachuntersuchung zeigen“, weiß Knoflach. „Für die Jugendlichen ist dies eine Chance, sich zu informieren und Selbstverantwortung zu übernehmen. Was sie daraus machen, bleibt ihrer Verantwortung überlassen“, ist Brunner überzeugt. „Die Schüler fühlten sich ernstgenommen und ihr Wille an der Studie teilzunehmen war enorm. Diese Begeisterung und die Bereitschaft, alle Untersuchungen über sich ergehen zu lassen, das hat auch mir imponiert“, gesteht Geiger. Nun sei die erste Stufe abgeschlossen, die Untersuchungen an den über 1.500 Probanden beendet. Jetzt beginne die zweite Phase mit der Veröffentlich erster Erkenntnisse, aber die Bedeutung derselben werde erst nach zwei Jahren bei der Nachuntersuchung mit denselben Probanden ersichtlich. „Sollte sich herausstellen, dass unsere Untersuchungen einen Einfluss haben auf die Lebensweise und die Ernährungsgewohnheiten der jungen Leute, dann werden wir den Gesundheitsbehörden anbieten, diese Altersgruppe mit in die Gesundheitsvorsorge aufzunehmen.“ (SP)
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