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Der Dichter Norbert Conrad Kaser

Teil III – „Ein Stern erster Ordnung.“

N.C. Kaser, der Student
Kaser hatte im Jahre 1969 die Matura bestanden und machte sich auf, in Wien Kunstgeschichte im Hauptfach und Neuere Geschichte im Nebenfach zu studieren. Sein Domizil wird bald ein Schrebergartenhaus in Dornbach, das er von Joseph Zoderer übernimmt. Da Kaser aber, wie Christian Alton, ein Freund und Nachbar Kasers in Wien, erzählt, alles eher als ein praktischer Mensch war, missriet diese vermeintliche Idylle zu einer eher elenden Behausung. Über das Studium Kasers sagt sein Freund Joseph Mair, der damals in Wien  Germanistik studierte:

„Kaser besuchte einige Vorlesungen für Germanistik und Kunstgeschichte, bei denen er öfters Professoren in Staunen versetzte und ihnen bewies, daß sie falsch informiert waren. Prüfungen legte er selten ab. Kaser verfügte über Geld, nur besaß er kein Verhältnis dazu und konnte damit in keiner Weise umgehen.“

Obwohl Kaser über das Südtiroler Kulturinstitut ein österreichisches Stipendium von 13.000 öS bezog, litt er Not. In vielen Briefen, die er schrieb, klagte er ganz herz- und geldbeutelergreifend. Ein Brief an Ivo Beikircher etwa endet so:

„nachwort frei nach schiller:

dem mimen flicht die nachwelt keine kränze

der autor frettet an des daseins grenze“

Der Dichter N. C. Kaser
Ich möchte nun dort anschließen, wo ich N. C. Kaser zurückgelassen habe, bevor ich ins Literaturtheoretische abgeschweift bin. Kaser gab in seinem 2. Wiener Studienjahr auf. Über die Ursachen gibt es keine letzte Klarheit. Es mag sein, dass das Fehlen einer zweiten Fremdsprache dabei eine Rolle spielte, es ist aber anzunehmen, dass der wahre Grund für sein Scheitern an der Universität ein anderer war. Er war an systematisches Arbeiten nicht gewöhnt, er hat etwas hobbymäßig betrieben oder gar nicht. Und es ist halt so, und vielleicht muss es so sein, dass einem die Schule und auch die Universität das Hobbymäßige sehr schnell austreiben. An der Südtiroler Schule herrschte damals großer Lehrermangel, der von Supplenten abgedeckt wurde, die meist Jahresaufträge hatten. Kaser suchte für das Schuljahr 1971/72 um eine Stelle an der Mittelschule in St. Johann an, bekam aber eine an der Volksschule in Vernuer, im Jahr darauf in Cortina und dann in Flaas.

Literarisch ließ sich das Leben nach seiner Rückkehr aus Wien in der kleinstädtischen Heimat nicht schlecht an. Kaser wurde zu Lesungen eingeladen, im März ins Waltherhaus nach Bozen mit Joseph Zoderer und Hans Haid, im Juli ins Theater am Landhausplatz in Innsbruck, wo er die Zuhörer vor allem dadurch vergrämte, dass er zu viele italienische Texte las, die sie nicht verstanden. Der „Skolast“ und die Nordtiroler Kulturzeitschrift „Das Fenster“ druckten einige Kasertexte.

Im Herbst 1973 lichteten sich die Wolken über Kaser für eine gewisse Zeit, zumindest die wirtschaftlich drohenden. Siegfried Baur, Schuldirektor in Sarnthein und ein Freund Kasers, ging das Wagnis ein und übertrug ihm eine Stelle an der Volksschule Flaas am Tschögglberg. Zwei Jahre war Kaser dort Lehrer. Sonderbarerweise gibt es aus dem ersten Jahr kaum Briefe, es dauerte anscheinend einige Zeit, bis das Briefschreiben zum Publikationsersatz wurde, aber das geschah in Flaas, und zwar im Laufe des Schuljahres 1974/75. Im ersten Jahr dürften auch nur ganz wenige Gedichte entstanden sein. Kaser hat nämlich fast alle Gedichte mit dem Entstehungsdatum versehen, und zwar immer in der gleichen Form, indem er jedem Text eine sechsstellige Zahlenreihe anhängte, z. B. 031273, was natürlich 3. Dezember 1973 heißt. Und eben die Jahreszahl 73 taucht bei den Gedichten nur selten auf.

Als Kaser in Flaas einzog, begleitete ihn sein Hund Haymo, den er beim Wirt an der Ahr in St. Johann dem jüngsten Wirtssohn Toni abgekauft, aber nicht bezahlt hatte, vereinbarter Preis Lire 5000.

Die zwei Jahre in Flaas waren für Kaser ganz zweifelsohne eine Zeit, in der sich zumindest am Anfang so etwas wie eine Möglichkeit auftat, es sich in diesem doch so argen Dasein einigermaßen erträglich einzurichten. Einmal liebte Kaser die Kinder, „seine Kinder“, wie er immer sagte. Das Unterrichten gefiel ihm, er investierte nicht nur Geist – z. B. schrieb er Lesebuchgeschichten, weil er mit den vorhandenen Texten nicht einverstanden war.

Im zweiten Jahr in Flaas gehen viel mehr Briefe an Freunde und Bekannte, er schreibt jetzt wieder mehr. Paul Flora ist unter den Adressaten, auch Markus Valazza. Große Sachen entstanden nicht, die hatte er höchstens vor zu schreiben, es entstand Kurzprosa. Die Stadtstiche wurden in Flaas begonnen. Als die ersten im Skolast erschienen, hießen sie noch Stadtbilder (Glurns, Brixen, Meran). Aber Kaser trank immer mehr, seine Briefe werden melancholischer, Resignation wird spürbar. Das Wort „sterbensmüd“ taucht auf, es kehrt immer öfter wieder. Die Flaaser Idylle wird immer mehr als Einsamkeit empfunden. Im Sommer 1975 begab sich Kaser dann auf das Drängen seiner Freunde hin ins Krankenhaus von Bozen. Die Diagnose, welche der behandelnde Arzt stellte: Leberzirrhose, entweder totale Alkoholabstinenz oder früher Tod. Mit dem Schuldienst war es aus. Kaser kam in die Nervenheilanstalt Villa S. Giuliana in Verona. Nach Flaas kehrte er Ende September noch einmal zurück.

In der Villa S. Giuliana blieb Kaser vom 19. Oktober bis Ende Dezember 1975. Die Korrespondenz aus Verona ist sehr rege. Auch ziemlich einige Prosatexte und Gedichte tragen Daten aus den Monaten Oktober, November und Dezember 1975. Über seine gesundheitliche Lage gibt sich Kaser nach einiger Zeit selber Rechenschaft. Jetzt wird ihm klar, dass sein Zustand im Juni bei der Einlieferung ins Bozner Krankenhaus sehr ernst gewesen war. In Verona geht es ihm bald wieder einigermaßen, gegen die psychotherapeutische Behandlung sträubt er sich allerdings. Das Heimweh wächst mit der Länge der Kur. Es gedeihen aber auch wieder Pläne. Er will die LBA-Matura nachholen, um dann nicht mehr ein Lehrer von des Schulamtes Gnaden zu sein, eine Fernsehsendung will er machen, für die Rauriser Literaturtage eine Tragödie schreiben. Fünf Tage später ist es dann mit der Tragödie wieder nichts: „ich bin zu kraftlos ich habe zuviel zweifel ich bin unsicher.“ Zu Weihnachten ist Kaser noch in Verona, es erwischt ihn eine Krise, wie er schreibt. Als ihn die „wohlwollenden schweine“ auslassen, ist zu Hause alles beim alten: tageweise Supplenzen an entlegenen Schulen. Er lebt vom Geld der Verwandten (Schwester, Tanten, die Mutter war 1971 gestorben) und ist gezwungen, regelrechte Bettelbriefe zu schreiben, so etwa an Paul Flora.

Ins Frühjahr 1976 fielen dann zwei bedeutende Ereignisse: der Beitritt zur KPI – Kaser war vorher schon Mitglied der CGIL – und der Austritt aus der Kirche. Für beide Schritte ist die Motivation nicht klar. Maria Theresia Neuhauser gegenüber sagte Kaser, der Anlass für den Kirchenaustritt sei die Ablehnung seiner Patenschaft für seine Nichte durch den Brunecker Dekan Werth gewesen. Das Schreiben, in dem Kaser den Austritt aus der Kirche erklärt, ist mit dem 6. April 1976 datiert und ist an Dekan Werth gerichtet. Es beginnt mit den Worten: „da ich ein religioeser mensch bin trete ich aus der katholischen kirche aus“.

Am 6. Juli 1976 teilte der österreichische Bundesminister für Unterricht und Kunst, Fred Sinowatz, Kaser mit, es sei ihm ein österreichisches Staatsstipendium von 60.000 öS. bewilligt worden, zahlbar in Monatsraten zu 5000 öS. Das reichte fürs Leben und für kleine Reisen (Wien, Venedig), den Gesundheitszustand besserte es leider nicht, denn zu trinken hatte Kaser nie aufgehört. Mit dem Literaturbetrieb, auch mit dem von der Südtiroler Hochschülerschaft organisierten, wollte Kaser zu diesem Zeitpunkt nichts mehr zu tun haben. Als die SH im November 1976 zur Literaturtagung einlud, kam seine Antwort abschlägig:

„liebe kulturbeflissene
ich danke fuer Eure einladung zum literturtreff & lehne ab. gruende
dafuer gibt es genug & ich werde versuchen sie hier mitzuteilen:

  1. es kann nicht ausbleiben ein paar unangenehme personen anzutreffen
    war fuer beide teile nur unnuetzes fachgeplaenkel oder handfeste beleidigungen nach sich ziehen wuerde.
  1. meine auffassunge von wert & unwert des geschriebenen wortes ist
    hoechstpersoenlich  & wird nur ganz selten mitgeteilt (dh. ueberhaupt nicht mehr).
  1. tagungen sitzungen werkstattgespraeche etc. – immer in sachen literatur
    versteht sich – sind mir ein ekel geworden & dabei bleibts.
  1. „zusammenfuehrung“ von literaten untereinander oder mit publikum
    (lesern) ist nicht weiter als ein almabtrieb wo jeder die schoenste kranzkuh sein  will. aber ohne mich.
  1. neue perspektiven erstellen ist in suedtirol hoffnungslos besonders
    seit magnago die schuetzen aufgerufen hat die deutsche sprache zu
    schuetzen weil sie nichts mehr zu schießen (lies:sprengen) hatten.
  1. der gedankenaustausch braucht von meiner seite nicht mehr gepflogen
    zu werden: oft genug habe ich gegen den wind geschrien & geschrieben.“

Dafür regte sich damals in Bruneck die linke Kulturszene: Kaser gehörte zu den Gründern des nach dem Antholzer Bauernrebellen Peter Paßler benannten Kulturkreises. Die erste Tat des Kreises war die Ausstellung „Die Tendenzen der Kunst“.

Eine letzten Chance, von seinem Leiden loszukommen, bot sich Kaser, als ihm die CGIL einen Kuraufenthalt in der DDR vermittelte, in Bad Berka nahe bei Weimar in Thüringen. Kaser hielt sich dort vom 19. Mai bis Ende Juni 1977 auf. Die Kur schlug gut an, Kollegen, die Kaser nach der Kur in Bruneck wieder trafen, erinnern sich daran, dass er gut erholt gewirkt hat. (RT)