Das Ahrntal – Wo Kirchen noch Wahrzeichen sind

Die Wirtschaft in Enneberg
11. Juli 2017
Dieter Lehmann aus Bruneck
11. Juli 2017
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Das Ahrntal – Wo Kirchen noch Wahrzeichen sind

Die Pfarrkirche in Weißenbach

TEIL II – Es ist in Tirol immer noch so, dass an den meisten Orten die Kirchen als Wahrzeichen gelten. Früher stachen sie unter den Häusern der Dörfer derart hervor, dass sich das ganz automatisch ergab. Da und dort wäre höchstens eine mittelalterliche Burg als Konkurrentin in Frage gekommen. Heute ist es an vielen Orten schon so, dass die touristischen Bettenburgen oder die Seilbahnkathedralen ihnen von der baulichen Fülle her den Rang ablaufen. Aber noch erkennen die Dorfbewohner ihre Orte in erster Linie an der Kirche und nicht an der Seilbahnstation. Daher sollen hier die Dorfkirchen des Ahrntales vorgestellt werden.

Die Pfarrkirche zum heiligen Sebastian in Luttach
Die Pfarrkirche von Luttach steht auf einem Hügel am Rande des Dorfes und war von ihren Kirchenpatronen her immer ein Zufluchtsort für Kranke und Leidende. Der heilige Sebastian gilt als besonderer Patron der Kranken. Die Legende erklärt, wie er zu dieser Ehre kam. Sebastian war zur Zeit des Kaisers Diokletian römischer Offizier und wurde wegen seines christlichen Glaubens mit Pfeilschüssen gemartert. Man hielt ihn für tot, aber er erholte sich wieder und bekannte sich als Christ, sodass er erschlagen wurde. Am Fest des heiligen Sebastian, dem 20. Jänner, war früher die Kirche von Luttach schon um 4 Uhr früh überfüllt, weil die Leute aus dem ganzen Ahrntal und aus Taufers nach Luttach strömten. Der heilige Rochus, der zweite Kirchenpatron, wurde in Pestzeiten besonders verehrt. Luttach hatte, so wird überliefert, unterhalb der Schöllbergbrücke an der alten Weißenbacherstraße einen eigenen Pestfriedhof, weil das Dorf gleich mehrere Male von der Pest heimgesucht wurde, zuletzt während des Dreißigjährigen Krieges. Die Kirche von Luttach ist im gotischen Stil erbaut und wurde im Jahre 1445 geweiht. Sie wurde einmal, es muss wenig später gewesen sein, um ein Joch verlängert. Die Einrichtung ist neugotisch, sie entstand um 1885. Von der früheren Einrichtung ist ein Ölbild des heiligen Sebastian erhalten, das vom berühmten Maler Josef Schöpf im Jahre 1787 geschaffen wurde. Es befindet sich heute aber nicht mehr in der Kirche, sondern im Tiroler Landesmuseum Ferdiandeum in Innbruck. In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts planten die Luttacher den Neubau der Pfarrkirche. Dann überlegten sie es sich anders, restaurierten die alte Kirche und ließen das Bauen bleiben. Dafür haben sie in den letzten zwei Jahren ihren Friedhof erweitert. Luttach und Weißenbach gehörten zur Pfarre Taufers und wurden von dort aus seelsorglich betreut. Der Stifter einer eigenen Kuratie in Luttach war aber ein Pfarrer von St. Johann. Pfarrer Georg Schiechl stiftete eine große Summe Geldes. Dieses Kapital bildete die Grundlage für die Erhaltung des Kuraten. Es wurde an Bauern verliehen, die dafür Zinsen zahlten und es so allmählich noch vermehrten. Die Stiftung der Kuratie erfolgte im Jahre 1687. Von da an hatte Luttach ständig einen eigenen Seelsorger. Einer von ihnen war Simon Aichner, Kurat in Luttach von 1851- 52 und später Bischof von Brixen. Weißenbach gehörte bis 1901 zur Kuratie Luttach. Erst als Luttach eine Pfarrei wurde, bekam Weißenbach einen Kaplan.

Die Pfarrkirche zum heiligen Jakobus in Weißenbach
Die Pfarrkirche von Weißenbach hat in der Nachkriegszeit zwei maßgebliche Veränderungen durchgemacht. Einmal wurde sie in den 50er Jahren um einen Anbau erweitert und dann wurde sie Ende der 90er Jahre in einer Art und Weise restauriert, dass daraus ein kunsthistorisches Juwel wurde. Vor allem wurde der ursprüngliche Zustand des Altares wieder hergestellt, der 1884 durch den Einbau eines Tabernakels verändert worden war,  nachdem man bis dahin das Höchste Gut im Sakramentshäuschen aufbewahrt hatte, das ebenfalls noch erhalten ist und jetzt wieder die Funktion des Tabernakels hat. Nun kam die damals versetzte Predella an den alten Platz zurück. Man hat diesen Altar eine Zeitlang Michael Pacher zugeordnet, ist sich heute aber ziemlich sicher, dass der aus Süddeutschland stammende und in Bruneck arbeitende Michael Parth sein Schöpfer ist, der zum Pacherkreis gerechnet wird. Im Altarschrein steht der Kirchenpatron, der hl. Jakobus, zwischen dem hl. Andreas, dem früheren Kirchenpatron von Luttach, zu dessen Kuratie Weißenbach lange gehörte, und dem hl. Georg. Die offenen Flügel zeigen die Reliefs des hl. Sebastian und des hl. Hippolyt (mit Gespanndeichsel), die geschlossenen die gemalten Bilder des hl. Christophorus und des hl. Florian. Die Predella birgt im offenen Zustand in der Mitte eine wunderbare Weihnachtsszene (Maria und Josef mit dem Kinde) in Form eines Schnitzreliefs, links davon die Anbetung der Könige und rechts Szenen des bethlehemitischen Kindermordes. In geschlossener Form zeigt sie vier weibliche Heiligenfiguren, und zwar (von links nach rechts) die hl. Barbara, Anna Selbdritt, die hl. Magdalena und die hl. Katharina. In den oberen Ecken der Predella ist die Jahreszahl 1516 angebracht, das Jahr, in dem der Altar aufgestellt wurde. Im Gesprenge über dem Mittelschrein steht eine der Eleganz des Altares entsprechende Kreuzigungsgruppe. Dass unter den elf auf dem Altar dargestellten Heiligen sieben Schutzheilige der Bergleute sind, hat mit der bergbaulichen Vergangenheit Weißenbachs zu tun. Durch das ganze 16. Jahrhundert hindurch wurde in Weißenbach Bergbau betrieben, sogar ein Schmelzwerk wurde errichtet. Vermutlich waren die Bergknappen unter den eifrigen Stiftern der kostbaren Kircheneinrichtung, sodass sie auch bei der Auswahl der Heiligen mitredeten. Die Bergbauheiligen sind die vier heiligen Frauen auf der Predella Barbara, Anna Selbdritt, Katharina und Magdalena, die Heiligen Christophorus und Florian auf den Altarflügeln und Jakobus als Kirchenpatron. In den Passfeldern des Gewölbes über dem Altarraum sind die vier Symbole der Evangelisten gemalt, dazu kommt auf einem runden Schlussstein das Haupt des Kirchenpatrons, des Apostels Jakobus mit dem Muschelattribut (Pilgermuschel). Diese Fresken werden einmütig Friedrich Pacher zugeschrieben. Er schuf diese Bilder wohl um 1479/80, als er gerade dabei war, sich in der künstlerischen Entwicklung von seinem Meister Michael Pacher zu lösen.

Die Pfarrkirche zum heiligen Johannes dem Täufer in St. Johann
Es ist anzunehmen, dass die Ahrntaler bereits als Christen ins Ahrntal kamen. Im 12. Jahrhundert ist der erste Geistliche im Ahrntal genannt, ab dem 13. Jahrhundert ist dann das Ahrntal zwischen St. Johann und Prettau eine eigene Pfarre. Insgesamt sind drei Pfarrkirchen bezeugt, und zwar alle an einem anderen Platz. Die erste wurde vom Trippach übermurt. Die zweite wurde zu Ende des 18. Jahrhunderts abgerissen, weil sie infolge von unstabilem Grund baufällig wurde. Die dritte Pfarrkirche wurde kurz vorher an dem Platze erbaut, wo sie heute noch steht. Im Jahre 1782 wurde mit dem Bau der Kirche begonnen. Das Projekt könnte von Franz Anton Singer aus Götzens stammen, der u. a. die Pfarrkirche von Toblach und das Priesterseminar in Brixen erbaut hat. Die Bauleitung hatte der Singer-Schüler Josef Abenthung aus Götzens inne, dem wir einige Kirchen in Nordtirol  und in Südtirol jene von Niederdorf und St. Ulrich verdanken. Der Bauform nach ist die Kirche am spätbarocken Tiroler Kirchentypus ausgerichtet, die Ornamente sind aber vom aufkommenden Klassizismus beeinflusst. Die Kirche wurde bereits am 16. Oktober 1785 bezogen. Erst im Jahr darauf wurde der Maler Josef Schöpf (1745-1822) vertraglich verpflichtet, die Kirche für 600 Gulden auszumalen und für 500 Gulden das Hochaltarbild zu schaffen. Josef Schöpf, aus Telfs im Oberinntal gebürtig, stand damals auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens und war neben seinem Lehrer Martin Knoller der bedeutendste Tiroler Freskomaler am Beginn des Klassizismus. Der Hochaltar, die Seitenaltäre, die Kanzel und die Bänke stammen vom Brunecker Bildhauer Jakob Philipp Santer, der in Bruneck nicht nur Stadtbaumeister, sondern auch Bürgermeister war. Am 24. August 1788 wurde die Pfarrkirche von Fürstbischof Joseph von Spaur geweiht. Der Hochaltar ist Johannes dem Täufer geweiht, die Seitenaltäre Mariä Himmelfahrt und den Heiligen Martin und Nikolaus.
Fachleute halten die Kirche von St. Johann für das reifste Bauwerk des Frühklassizismus im Pustertal. Von den Grundformen her steht die Kirche in der Tradition der spätbarocken Tiroler Dorfkirchen, die dem Stil des Pfarrer-Baumeisters Franz de Paula Penz zuzurechnen, dessen Mitarbeiter Franz Anton Singer gewesen war. Obwohl sich die Kirche im Grund- und Aufriss von spätbarocken Kirchen nicht unterscheidet, wirkt sie durch die Schlichtheit der Fassadengliederung und der Ornamente (Fehlen der Stukkaturen) beinahe klassisch-ruhig. Der an die Fassade angebaute Zwiebelturm lockert den massigen Baukörper auf. Die Stärke der Kirche ist der einheitliche Gesamteindruck, den Bau und Ausstattung vermitteln. In erster Linie sind die Fresken in den drei Flachkuppeln von Josef Schöpf  und dessen Altarbilder in Öl dafür verantwortlich. Sie stellen die Verherrlichung des heiligen Kreuzes durch die Engel und die Kirchenpatrone im Chorraum, die Predigt des hl. Johannes des Täufers in der Hauptkuppel und die Vision des hl. Johannes des Evangelisten auf Patmos (über dem Vorjoch) dar. Von großer Klarheit ist vor allem das Hauptaltarbild, das die Taufe Christi durch Johannes den Täufer darstellt. Der orginäre Altar ist nicht mehr erhalten, zu Ende des 19. Jahrhunderts wurde er durch einen ersetzt, der dem Stil der Neurenaissance verpflichtet ist.
Der Friedhof ist um die Pfarrkirche herum angelegt. Seit seiner Erweiterung in den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg ist der westlich der Kirche gelegene Teil mit einer Mauer eingefasst, in die Arkaden eingelassen sind, die jeweils ein Familiengrab bilden. Diese Arkaden sind vom Priestermaler Johann Baptist Oberkofler ausgemalt worden, der aus St. Johann stammte. Sie geben dem Friedhof ein eigenes Gepräge. (RT)