Teil I – Die Lateinschule und die „deutsche Schule“ vor der Schulreform Maria Theresias
In den Ländern, die zur ehemaligen Donaumonarchie gehörten, gebührt der Kaiserin Maria Theresia (1740–1780) das Verdienst, die allgemeine Schulpflicht eingeführt zu haben. Diese Maßnahme wird gemeinhin als ein so gewaltiger bildungspolitischer Einschnitt gewertet, dass man nicht selten vergisst, dass es vorher nicht nur Dom- und Klosterschulen gegeben hat, in denen der Nachwuchs des Klerus herangebildet wurde, sondern auch in den Städten und in größeren Ortschaften „schulähnliche Einrichtungen“, die an sich für alle offen waren. Es bestand allerdings keine Pflicht, eine Schule zu besuchen. Die städtischen Schulen des Mittelalters, in denen vor allem Latein gelehrt und gelernt wurde, lagen niveaumäßig wahrscheinlich doch deutlich über den Schulen, wie sie in den größeren Ortschaften auf dem Lande vor allem von Geistlichen eingerichtet und betreut wurden. Diese Lateinschulen waren, was das Programm anging, zwar lange nicht so vielfältig wie die späteren Gymnasien, aber sie waren schon so etwas wie deren Vorläuferinnen. In der Zeit der Reformation, die auch im kirchlichen Bereich die Gültigkeit der Volkssprache betonte, geriet Latein erstmals in eine Krise, und es entstanden die ersten „deutschen“ oder „Vulgärschulen“, in denen Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet wurde und Religion in gewisser Weise ein übergeordnetes Unterrichtsprinzip war.
In Bruneck reicht die Lateinschule ins Mittelalter zurück. Wann sie gegründet wurde, lässt sich nicht genau sagen. Zu Ende des 14. Jahrhunderts, also nicht einmal 150 Jahre nach der ersten schriftlichen Erwähnung der Stadt, ist anlässlich der Stiftung eines Fronamtes in der Unser-Frauen-Kirche in Ragen erstmals von einem Schulmeister die Rede, der zusammen mit seinen Schülern den Gesang zu besorgen hatte. Es dauerte dann aber noch mehr als ein halbes Jahrhundert, bis der erste Brunecker Schulmeister namentlich aktenkundig wurde. Ludwig Tummler wird im Jahre 1453 als „gewesener Schulmeister dahier und Kaplan in der Neukirche“ (heute Ursulinenkirche) bezeichnet. Dem Schulmeister war ein Schulgehilfe beigegeben, der den Titel „Jungmeister“ führen durfte. Sowohl Lehrer wie Gehilfe arbeiteten im Auftrag und im Lohn zunächst der für Bruneck zuständigen Pfarre von St. Lorenzen und dann ab 1610 im Auftrag der Stadtpfarrei Bruneck. Die Stadt stellte das Schulgebäude zur Verfügung und war im Übrigen froh, wenn Stiftungen der Schule unter die Arme griffen, weil der Stadtsäckel dann von den Schulausgaben weniger belastet wurde.
Wenn wir wissen möchten, was nun in der Lateinschule außer Latein noch gelernt wurde, ist in der Instruktion einiges enthalten, die im Jahre 1628 für den damals von Taufers nach Bruneck wechselnden Schulmeister Christoph Griessmayr erstellt wurde. Zunächst war den Schülern das Lesen beizubringen, mindestens zweimal im Laufe eines Vormittags sollte ein Schüler diesbezüglich abgehört werden. Das Schreiben war täglich einmal zu üben, auf das „Gerechtschreiben“ (= Rechtschreiben) wurde besonders geachtet, jeder musste sein Schreibbüchlein führen. Der Schulmeister hatte dann „den Knaben und Mädchen so bald sy lesen khünden, den Catechismus Herrn Doctor Petri Canisy auswendig zu lernen aufzugeben“. Die letzte Stunde an jedem Freitagvormittag war dem Rezitieren des Katechismus vorbehalten. Aus dem Wenigen, das über den Lateinunterricht gesagt ist, kann man schließen, dass es vor allem um das Einpauken von Vokabeln und Grammatik ging. So wie der Lehrer die Schüler mit mäßiger Zucht zur Gottesfurcht anstacheln sollte, musste er sie mit gestrengem Fleiß „in principiis lateinischer Sprach, alls mit declinieren, coniugieren und dergleichen Sachen, instruieren“, heißt es in der Instruktion für den Schulmeister Griessmayr.
Der Lehrer und sein von ihm ausgewählter Gehilfe, der Jungmeister, hatten die „professio fidei“ abzulegen. Auf ihren rechten Glauben kam es an, denn es oblag ihnen ja nicht nur die Kindererziehung, sondern auch der lateinische Kirchengesang. Ein einwandfreier Lebenswandel wurde vorausgesetzt. Der Lehrer musste sich „allerlay Leichtfertigkeiten und Ergernüsse enthalten [und] der Jugennt guet Exempl vortragen“. Um seine pädagogischen Vorsätze umzusetzen, waren ihm auch handgreifliche Strafen erlaubt, allerdings gab es diesbezüglich Tabus. Ungehorsame und unfleißige Kinder durfte er mit der Rute der Gebühr nach strafen, aber nicht aus Zorn oder Ungeduld die Haare ausraufen oder auf den Kopf schlagen. Der Hinweis, dass die Rutenstrafe, wenn sie an Mädchen verabreicht wurde, „von den Knaben absünderlichen“ zu geschehen habe, ist nicht nur ein pädagogisch interessantes Detail, sondern auch ein weiterer Beweis dafür, dass in der Brunecker Lateinschule auch Mädchen unterrichtet wurden. Zu den Aufgaben des Lehrers gehörte es auch, das Betragen der Schüler außerhalb der Schule zu kontrollieren und positiv zu beeinflussen.
Die Schulstunden waren im Vergleich zu heutigen Stundenplänen völlig anders angesetzt. Zur Sommerszeit – darunter verstand man die Zeit von Georgi (23. April) bis Michaeli (29. September) – begann die Vormittagsschule um 6 Uhr in der Früh und endete um 9 Uhr. Zur Winterszeit (von Michaeli bis Georgi) begann die Schule um 7 Uhr und endete um 10 Uhr. Um 12 Uhr begann sommers wie winters die Nachmittagschule und diese dauerte bis mindestens 15 Uhr, doch sollte den Schülern nach zwei Uhr „ain halbe Stundt lang Marennt Prot zu empfachen vergunndt sein“. Im Ganzen soll täglich „auffs allerwenigist sechs Stunden lang Schuel gehalten werden“. Wie viele Jahre die Lateinschüler die Schulbank drückten, ist nicht zu erfahren, auch nicht, wozu der Abschluss der Lateinschule berechtigte. Die zwei Brunecker Historiker Robert Bertel und Hubert Stemberger sehen es als Beweis für die Qualität der Brunecker Lateinschule, dass in der Zeit von 1628 bis 1770 insgesamt 168 Geistliche aus Bruneck hervorgegangen sind.
Der Schulmeister bekam um 1628 jährlich 40 Gulden, die ihm vom Kirchenprobst in Quatemberraten zu je zehn Gulden ausgezahlt wurden. Dazu kamen in Naturalien zwei Star Weizen, sechs Star Roggen, zwei Star Gerste (1 Brunecker Kornstar = ca. 22,5 Liter) und Brennholz, das ihm mit den Spitalspferden zugestellt wurde, ferner die zinsfreie Wohnung im Schulgebäude. Aus einem vom Brunecker Bürgermeister Stefan Wenzl dem Älteren gestifteten Fond bezog der Schulmeister zusätzlich zu seinem von der Kirche ausbezahlten Salär pro Jahr zehn Gulden. Dass dieser Fond den Zweck hatte, neben dem Latein- auch den Italienischunterricht zu unterstützen, ist für die Zeit mehr als bemerkenswert, doch ging Wenzl wohl vom praktischen Nutzen aus, den er als international tätiger Handelsmann sicher vielfach erfuhr. Jedes Schulkind musste Schul- und Holzgeld bezahlen, das der Schulmeister kassierte. Das Schulgeld betrug sowohl für die Kinder aus Bruneck als auch für jene von außerhalb gleich viel, nämlich 24 Kreuzer im Jahr. Das Holzgeld (für die Heizung) war gestaffelt. Die Schüler aus Bruneck zahlten acht Kreuzer, die Schüler von auswärts mussten zwei Scheiter täglich liefern und insgesamt hundert „Schäb“ (Schabe, Reisigbündel) oder den entsprechenden Wert in Geld hinterlegen. Der Lohn für den Jungmeister, seinen Gehilfen, ging zu Lasten des Schulmeisters. Wenn er keinen Gehilfen aufnahm, wurden ihm zwölf Kreuzer von seinem Wochenlohn abgezogen.
Die religiöse Erziehung war auch in der Lateinschule ein primäres Ziel. Die Schule unterstand der Kontrolle der Kirche. Wenn Inspektoren kamen, handelte es sich um den Pfarrer von St. Lorenzen oder den Stadtpfarrer von Bruneck (ab 1610). Dies änderte sich vorübergehend in der Zeit der Reformation und war erst von der Gegenreformation wieder einigermaßen gerade zu biegen. Dass das schwierig war, sieht man am Beispiel des Brunecker Lateinschulmeisters Bartlmä Huber, der dieses Amt von ca. 1565 bis 1591 inne hatte. Bei der Pastoralvisitation im Jahre 1582 stellte man fest, dass die Lateinschüler zwar die „Bucolica“ Vergils und die „Briefe“ Ciceros zu lesen im Stande waren, aber keine einzige Schulstunde für den Katechismus verwendet wurde. Der Bischof ordnete bei der Strafe der Entlassung aus dem Schuldienst die Wiedereinführung des Katechismusunterrichtes an, vor allem aber sollten die Kinder die verbotenen lutherischen Lieder nicht mehr singen, wie sie es anscheinend getan hatten.
Vielleicht hat die Gründung einer deutsche Schule in Bruneck mit der Lateinkritik der Reformation zu tun. Damals sind in zahlreichen deutschen Städten deutsche Schulen entstanden. Sie waren auch Ausdruck des gestiegenen Selbstbewusstseins des Bürgertums. Obwohl man über diese „Vulgärschulen“ noch weniger weiß als über die Lateinschule, ist es wahrscheinlich nicht falsch, wenn man sich eine Art frühe Volksschule vorstellt, in der die Schüler Schreiben und Lesen lernten und auch ein bisschen Rechnen, wofür sie allerdings eigens bezahlen mussten. Die Lehrer dieser Schule wurden nämlich nicht wie jene der Lateinschule vom Kirchenprobst bezahlt, sondern von den Eltern der Schüler. Wir kennen ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert die Namen der deutschen Schulmeister, die übrigens im mehr oder weniger regelmäßigen Wechsel mit ihren lateinischen Kollegen die Organisten- und Chorregentenstelle in der Pfarrkirche bekleideten.
Beide Schulen, die Lateinschule und die deutsche Schule, waren in der Oberstadt untergebracht. Das spätere Damiashaus war die Lateinschule, der direkt an die Stadtmauer angebaute Teil des heutigen Unterrainerhauses beherbergte die deutsche Schule. Als beide Häuser für Schulzwecke nicht mehr gebraucht wurden, verkaufte sie die Stadtgemeinde Bruneck an Private. Im Jahre 1835 überließ sie die ehemalige deutsche Schulbehausung an Johann Staudacher, Bindermeister zu Bruneck. Im Jahre 1888 kaufte der Handelsmann Johann Unterrainer dieses Haus. Das Gebäude hieß damals Cordonhaus. Das daran angebaute Haus – ehemals ein Kornkasten – erwarb Johann Unterrainer im Jahre 1906 und vereinigte es mit dem ehemaligen Schulhause zum Hause Unterrainer. Das Lateinschulhaus erwarb im Jahre 1886 Karoline Damias aus Innichen. Auch ihre Familie war für das Haus bis heute namensgebend. (RT)
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