HERBERT HINTNER FEIERT 60. GEBURTSTAG
Die Superlative trifft gleich zwei Mal auf seine Person zu: Herbert Hintner ist Südtirols ältester Sternekoch und südtirolweit längster Träger eines Michelin-Sterns, der größten Ehre für einen Koch. Man kann die Sterne nicht kaufen und nicht abonnieren. Sie kommen, und wenn man Glück hat und weiter das Beste gibt, bleiben sie. Bei Herbert Hintner bleibt der Stern nun schon seit 22 Jahren. Am 2. September feierte der gebürtige „Gsiesa Bui“ seinen 60. Geburtstag. Ein guter Anlass zur Reflexion über Kindheit und Jugend in Pichl/Gsies, Heimweh beim Kühehüten auf der Alm, verpatzte Pfarrerkarrieren, die Kreativität der Haute Cuisine und das große Glück, in seiner Ehefrau Margot, eine kongeniale Lebenspartnerin gefunden zu haben.
Puschtra: Herr Hintner, 60 Lebensjahre bieten Anlass zur Reflexion. Wenn Sie Ihr Leben Revue passieren lassen, welche Gefühle stellen sich ein?
Herbert Hintner: Gute Gefühle. In meinem Leben haben sich wichtige Ereignisse rückblickend gut ineinander gefügt. So hatte ich etwa das große Glück, eine gute Partnerschaft zu finden, die bis heute intakt ist. Gemeinsam sind wir auch Eltern unserer Kinder Stefan, Daniel und Claudia. Ich hatte das Glück in meinem Beruf auch meine Berufung zu erkennen und ich hatte das Glück, mit meinem Erfolg auch dem Land etwas zu geben, indem ich in meiner kreativen Küchen den regionalen Produkten wieder Wichtigkeit verliehen habe.
Sie sind am 2. September 1957 als erster Sohn von vier Kindern in Pichl/Gsies geboren. Wie empfanden Sie Ihre Kindheit im Gsieser Tal?
Wir sind rundum gesund aufgewachsen, in einem natürlichen, ländlichen Umfeld im Einklang mit der Natur. Als Zehnjähriger habe ich bei den Bauern geholfen mit dem Roggen, dem Weizen, der Gerste oder beim Kühehüten. Ich habe die Festtage, wie Weihnachten oder Kirchtag geliebt, das war etwas Besonderes. In meiner Kindheit gab es kein Fernsehen oder Handy, höchstens ein Radio, aber wir haben uns mit den Nachbarskindern zum Spielen getroffen und keine WhatsApp-Nachrichten verschickt. Vielleicht fördern wir deshalb heute – oft auch unbewusst – den sozialen Aspekt. Kinder und Jugendliche wachsen heute vielfach in einem so großen Wohlstand auf und über die digitalen Medien kommen sie zu schnell an zu viele Informationen, die sie ohne Hintergrundkenntnisse, ohne das nötige Wissen gar nicht in der Lage sind, zu werten. Auch deshalb möchte ich unser Dieses natürliches Aufwachsen möchte ich nicht missen, auch wenn ich schon sehr unter Heimweh gelitten habe beim Kühehüten dort oben auf der Hochalm. Einmal bin ich sogar nach Hause abgehauen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe, so dermaßen hat mich das Heimweh gequält.
Hatten Ihre Eltern mit Ihnen als Erstgeborenen womöglich Berufspläne?
Ich komme aus bescheidenen Verhältnissen. Mein Vater arbeitete als einfacher Arbeiter in der Holzindustrie. Natürlich waren die Erwartungen der Eltern an mich sehr groß, ich war ja der Erste, der etwas dazu verdienen konnte. Zunächst war für mich klar: Ich werde Pfarrer. Wir sind ja sehr streng religiös aufgewachsen, man ging diskussionslos zur Messe, sonntags auch zwei Mal und ich war Ministrant. Aber in der Pubertät hatte ich dann andere Pläne und entschied mich für Schneider, aber ich fand keine Lehrstelle. Dann dachte ich an Koch, meine dritte Wahl sozusagen, und den Ausschlag gab dafür der finanzielle Aspekt, nicht etwa, weil ich schon eine gewisse Affinität zum Kochen entwickelt hätte. Zu Hause hatte die Qualität des Essens wohl immer einen hohen Stellenwert, aber gekocht wurde eine einfache Küche und ich selbst probierte mich höchstens mal an einem Schmarrn, Omelette oder Milchreis. Aber meine Eltern ließen mir bei meinem Berufswunsch völlig freie Wahl. Als ich dann nach der Mittelschule mit dem Kochen anfangen wollte, fuhr meine Mutter mit mir nach Bruneck. Wir wurden vorstellig beim Hotel Post, beim Hotel Rose und weiteren Hotels, aber keiner brauchte einen Kochlehrling. Meine Mutter nahm sich die vielen Absagen schwer zu Herzen. Jetzt konnte endlich jemand dazuverdienen, und dann gab es keine Arbeit für mich.
Ihr erster Arbeitsplatz als Kochlehrling war im Hotel Centrale in Kolfuschg. Wie kamen Sie als „Gsiesa Bui“ ins Gadertal?
Eine glückliche Fügung war das. Ich war ja wieder in Pichl, war 14 Jahre alt und ohne Lehrstelle. Da kam eines Tages mein Traumauto, ein weißer Fiat 124 Sport, daher und hielt vor mir an. Der Fahrer stieg aus und sagte, dass er für sein Hotel in Kolfuschg auf der Suche nach einem Kochlehrling sei, ob ich ihm da weiterhelfen könne. Ich traute meinen Ohren nicht! Schnell nahm ich ihn mit in die Küche zu meiner Mutter. Im Gespräch ging es auch um meinen Lohn. Meine Mutter dachte an wenigstens 10.000 Lire, aber da sagte der Herr Ferrari schon, dass ich 60.000 Lire im Monat bekommen sollte. Das war für mich unglaublich viel, mein Vater, als gelernter, langjähriger Arbeiter, brachte damals 180.000 Lire nach Hause. So trat ich meine erste Arbeitsstelle an Mitte Juni 1972. Und wieder hatte ich großes Glück, dass die Köchin und zugleich Seniorchefin, Frau Pescosta, eine sehr mütterliche Art hatte. Sie war streng und genau, brachte aber auch Verständnis dafür auf, wenn einem die langen Arbeitszeiten zu schaffen machten. Drei Saisonen habe im Hotel Centrale gearbeitet und das Kochen von der Pike auf beim Kartoffelschälen und Knödelbrotschneiden gelernt, dann bin ich für einen Winter auf die Plose. Zeitgleich habe ich die Hotelfachschule in Bozen/Gries besucht. Der Herr Ladstätter, einer unserer Lehrer aus Olang, hat mich dann empfohlen an das Hotel Bacher in Olang. Und so nahm ich mit 18 Jahren meine erste Stelle als Alleinkoch an. Mein Gehalt betrug 400.000 Lire!
Ihre Arbeit als Koch hielt auch Ernüchterungen für Sie bereit?
Durchaus. Man arbeitete in den Saisonstellen praktisch pausenlos, ohne Urlaub und oft ohne freien Tag, und das bei Arbeitstagen von 8 bis 23 Uhr. Nach meiner Saison in Olang machte ich die Sommersaison in Kaltern im Hotel Weingarten und den Winter über war ich Koch im Hotel La Plaza in Corvara, wo ich zudem im Berggasthof Pralongià kochte. Das hielt ich gute zwei Jahre durch, dann war ich an dem Punkt angekommen, dass ich mit dem Kochen ganz aufhören wollte. Ich fuhr nach Gsies, um meinen Entschluss zu Hause mitzuteilen. Meine Eltern hatten dafür kein Verständnis, da zur damaligen Zeit ein Berufswechsel einer Sünde gleichkam. Also habe ich meiner Mama versprochen, dass ich es noch einmal für eine Saison probieren wollte. Sollte ich die Freude am Kochen nicht zurückbekommen, dann sollte es das für mich als Koch gewesen sein.
Wie holten Sie sich die Freude am Kochen zurück?
Ich ließ den Zufall entscheiden, schlug die Tageszeitung Dolomiten auf, fand ein Stellenangebot als Chef de Partie in dem Fünf-Sterne-Luxushotel Klosterbräu in Seefeld. Auf meinen Anruf hin wurde ich zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Frau Seyrling, die Hotelchefin, empfing mich in ihrem Büro. Die Erkundigungen, die sie über mich eingehoben hatte, müssen zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen sein, denn an Arbeitsinteressenten schien es nicht zu mangeln, zumindest sah ich auf dem Schreibtisch unzählige Bewerbungsbriefe. Sie fragte mich: „Warum kommen Sie in mein Haus?“, meine Antwort war: „Ich hoffe, Sie können mir nochmal die Freude an meinem Beruf geben, ansonsten steige ich als Koch aus.“ Sie bot mir die Chance und ich willigte ein unter der Bedingung, dass ich den Heiligen Abend frei haben, denn Heiligabend war und ist noch heute für mich der wichtigste Tag für die Familie.
Ihr Ruf als begnadeter Koch ist Ihnen in Seefeld vorausgeeilt?
Dem muss wohl so sein, denn ich war als Chef de Partie von Frau Seyrling eingestellt worden, aber der Chefkoch bestand darauf, dass ich sein Souschef sein sollte. An dem Tag schneite es ohne Ende, als ich mich am 13. Dezember 1979 nach Seefeld aufmachte. Wie ich in die Küche kommen, steht der ein Kopf kleinere Chefkoch Walter Kalcher vor mir und sagt: „Sie sind mein neuer Souschef!“ Ich war völlig perplex und auch im ersten Moment überfordert. Weder hatte ich bisher große Erfahrung in der Haute Cuisine gesammelt, noch war ich mit der deutsch-österreichischen Küche übermäßig vertraut. Aber Kalcher ließ nicht locker. Also nahm ich die große Herausforderung an und hatte in Seefeld meine ersten Kontakte mit der Novelle Cuisine. Zum ersten Mal hatte ich eine so breite Produktpalette in so hoher Qualität gesehen. Auch die Kreativität auf den Tellern hat mich inspiriert.
Welche Gefühle verbinden Sie mit der Haute Cuisine?
Diese Art zu kochen, die von Frankreich mit Paul Bocuse ihren Ausgang nahm, hat mich von Anfang an fasziniert. Die schonenden Garzeiten, die hohe Produktqualität, die Kreativität in der Komposition und beim Anrichten auf dem Teller, das war für mich eine neue Welt, der ich bis heute treu geblieben bin.
Ihr Lebensmittelpunkt befindet sich seit Ihrer Heirat 1982 mit Margot Rabensteiner in Eppan?
Margot habe ich in der Hotelfachschule in Bozen kennengelernt. Sie war auch in Seefeld dabei. Von vornherein war klar, dass wir dort nur eine Saison bleiben werden. Wir beabsichtigten zu heiraten und den elterlichen Betrieb meiner Frau zu übernehmen. Mein Schwiegervater übergab uns 1985 das Dorfgasthaus „Zur Rose“, in dem mittags Arbeiter aßen. Drei Jahre lang haben wir den Betrieb als Arbeiterkneipe geführt. Dann wagten wir den Wechsel in die kreative Küche. 1.000 lange Tage hat es gedauert, bis die Gästen, aber auch die Kollegen akzeptierten, dass mein Weg Zukunft hat.
Wie haben Sie gelernt, Misserfolge zu Ihrem Vorteil zu nützen?
Am Anfang haben wir viele Fehler gemacht. Die Portionen waren zu klein, die Wartezeiten viel zu lang. Für ein Zweigangmenü saßen die Gäste fast drei Stunden. Verständlich, dass Reklamationen nicht aus blieben, aber diese Momente vergisst man nicht. Wir hatten eine gute Partnerschaft und ein gemeinsames Ziel: Wir wollten den zufriedenen Gast! Ich mit meiner Produktleidenschaft, und Margot, eine exzellente Sommelier, mit ihrer Leidenschaft für guten Wein. Langsam haben sich die Medien gemeldet, sind Restaurantführer auf uns aufmerksam geworden. Es entstand ein Sog, den man nicht kontrollieren kann. 1995 dann die Auszeichnung mit dem Michelin-Stern. Ist man erst etabliert, muss man sich auch immer wieder neu erfinden. Das ist natürlich eine Herausforderung. Fällt man aus dem Sternbereich heraus, ist man weg! Will man den einen Stern behalten, muss der zweite stets angepeilt werden. Ich bin im Spiel und möchte im Spiel bleiben, aber ich werde mir sicher nicht die Lebensqualität nehmen lassen wegen des Sterns.
Von 1996 bis 2002 Präsident für Italien der Vereinigung der Jeunes Restaurateurs d’Europe, eine intensive Zeit?
Anstrengend ja, aber es war eine sehr große Bereicherung und Ehre, dass man als deutschsprachiger Südtiroler einer solchen Vereinigung vorstehen kann. Dies war eine der schönsten Zeiten in meinem Leben, in denen ich viel gelernt habe über den Umgang mit Charakteren und über Diplomatie.
Sie sind im Fernsehen mit „Zu Tisch“ auf Rai Südtirol präsent, haben viele Kochbücher geschrieben, waren Ideengeber der „Gastlichen Tafel“ in St. Pauls. Welches sind Ihre nächsten Ziele?
Weiterhin im Sternebereich zu bleiben und auch den Generationenwechsel zu schaffen. Dass unserem Sohn Daniel, der jetzt 30 Jahre alt ist, und mit mir in der Küche steht, nicht mein Schatten im Weg ist. Im Mittelpunkt wird bei mir immer die Kreativität stehen. Für deren Entwicklung muss man sich das Kind in einem erhalten, das Gefühl der Jahreszeiten spielt eine Rolle, die Technik, die Textur, das Zusammenspiel der Geschmäcker, die Inspiration. Ich hatte noch nie Angst, nicht mehr kreativ zu sein. Ich bin aber nicht nur Sternekoch, ich bin auch Unternehmer. Ich muss auch an die Wirtschaftlichkeit denken.
Fühlen Sie sich heute noch als Gsieser?
Nun nach dem Tod meiner Eltern und da auch meine Geschwister nicht mehr hier leben, bin ich nicht mehr so viel in Gsies, aber geprägt durch meine Kindheit und Jugend werde ich immer ein Gsieser bleiben. Ein paar typische Gsieser Produkte wie das „weiße Ruibnkraut“ sind aus meiner kreativen Küche nicht wegzudenken. Für den Almadvent komme ich auch jedes Jahr ins Tal und natürlich ist die Versteigerung der Gsieser Ochsen im März ein Fixtermin, an dem ich immer persönlich einen Gsieser Ochsen ersteigere. Über sechs Wochen bin ich dann einmal die Woche auf einer Gsieser Almhütte, um bodenständig, regionale Küche aus dem Gsieser Ochsenfleisch zu bereiten.
Danke für das Gespräch. (SP)
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