„Ich sehe mich als Netzwerker, ich kann Leute zusammenbringen und Nutzen stiften.“
Seine Grundschullehrerin war besorgt, was aus dem sehr klugen, aber schüchternen und schwächlichen Buben werden würde. Heute ist Martin Pircher ein erfolgreicher Kaufmann, Ideator und Macher des Tauferer Käsefestivals und Mitglied im weltweiten Vorstand von Despar.
Warum war Ihre Lehrerin so besorgt?
Martin Pircher: Ich war als Kind immer kränklich, aber nach der Pubertät hat es sich zum Glück gelegt, „ausgewachsen“, wie man sagt. Nach der Mittelschule gab es ein Berufsberatungsgespräch, bei dem sich zwei Sachen klar herausstellten: Ich war kontaktscheu und technisch begabt. Und so schickte man mich in die Gewerbeoberschule nach Bozen. In meinem Fachgebiet Maschinenbau hab ich eigentlich nur einen Sommer lang gearbeitet, denn ich fand andere Jobs als Filmvorführer, T-Shirt-Bedrucker, Übersetzer, DJ, Waschmittelvertreter oder Hagebuttensammler für einen Marmeladeproduzenten weitaus interessanter. Mein Vater hatte ein Lebensmittelgeschäft in Sand in Taufers, aber dort arbeiten wollte ich nie.
Sie haben schließlich doch den Laden übernommen…
Im Zuge meiner längeren „Orientierungsphase“ landete ich schließlich in einem Lebensmittelhandel im Tiroler Unterland ohne Bezahlung, nur für Kost und Logis. Ich hatte einen sehr offenherzigen Chef, der mir zu verstehen gab, dass sein Job doch nicht so übel sei. So kam ich zurück und übernahm als 30-Jähriger das Geschäft meines Vaters. Mit neuen Initiativen brachte ich viel Schwung in den Laden, ich veranstalte zum Beispiel jährlich einen Kundenausflug, wo wir Lebensmittelproduzenten in Südtirol besuchen und ich habe mich auf Käse spezialisiert.
Sie haben den Ahrntaler Graukäse aus dem Dornröschenschlaf erweckt. Wie kam das?
Ich würde eher sagen, dass es mir gelungen ist, aus dem hässlichen Entlein einen Schwan zu machen. Ich fand, dass der Graukäse etwas absolut Authentisches, mit dem Tal Verbundenes und Identifikationsstiftendes sei und habe Bergbauern zur Produktion von Graukäse animiert. Wir erhielten die Unterstützung von Slow-Food und erhielten die Auszeichnung Presidio für ein vom Aussterben bedrohtes Lebensmittel. 2001 begann ich mit einem kleinen Käsemarkt mit sieben Ausstellern und bescheidenem Publikumandrang. Ich sah aber Potential darin und gab nicht auf. Aus dem Käsemarkt ist im Laufe der Jahre das Käsefestival in Sand in Taufers geworden, das heute als eine der interessantesten Käse-Messen Italiens gilt. Wir zählen inzwischen 90 Aussteller und 10.000 Besucher. Südtiroler Spitzenköche kochten hier, wie der Dreisternekoch Norbert Niederkofler und wir hatten internationale Aussteller, wie den Gewinner des World-Cheese-Award. Es ist so, dass das Käsefestival zwar meine Idee ist, aber ohne die unzähligen Helfer, die alle mit Herzblut dabei sind, gar nicht möglich wäre. Ihnen allen gilt mein ganz großer Dank.
Wie kommt man in den Vorstand eines weltweiten Lebensmittelkonzerns?
Ich war damals das jüngste Mitglied, das in die Interessensvertretung der Despar-Kaufleute von Südtirol gewählt wurde. Bald darauf kam ich in den Ausschuss von Despar Italia in Mailand und schließlich in den Vorstand des internationalen Gremiums von Despar in Amsterdam, wo weltweit sieben Einzel- und sieben Großhändler vertreten sind, welche beratende Funktion für die nationalen Verbände haben. Ich war mit Abstand der Jüngste im „Rat der Weisen“ und bin mittlerweile der Dienstälteste und ständig weltweit unterwegs. Letztes Jahr referierte ich zum Beispiel in Spanien vor 300 Delegierten aus aller Welt. Ja, und dann fahr ich von solchen Kongressen wieder gern heim und stehe in meinem Laden. Der Wanderer zwischen solchen Welten zu sein, ist unwahrscheinlich faszinierend.
Gibt es in Ihrem vollen Berufskalender so etwas wie Freizeit?
Ich mache schon seit Jahren zweimal wöchentlich Yoseikan Budo. Ganz wichtig ist für mich die Musik, von Klassik bis zu Punk. Für ein Konzert fahre ich weit, etwa zu Prince nach London. Zu Justin Bieber, zu Westernhagen nach München, und für heuer hab ich Eminem auf dem Plan. Um auszuspannen liebe ich im Sommer lange Spaziergänge. Und um mich zu erden besuche ich gerne Berg- bauern und plaudere mit ihnen über Gott und die Welt. Es sind einfache, tiefgründige Gespräche, die mir sehr viel geben. Der Kontakt mit Bergbauern ist für mich wie Sauerstoff.
Sind Sie angekommen, wo Sie wollten?
Es freut mich zu sehen, dass ich bisher einiges bewegen konnte. In meinem Geschäft habe ich Menschen ausgebildet und ihnen einen Start für den Lebensweg gebahnt. Ich habe jungen Bergbauern den Impuls zur Käseproduktion gegeben und ihnen neue Perspektiven gezeigt. Ich habe Akzente gesetzt, regionale Kreisläufe ermöglicht und gegen die Abwanderung gearbeitet. Mit einigen Rückschlägen und dann wieder mit Mut, Zuversicht und Zielstrebigkeit ist mein Lebensweg bisher geglückt. Ich denke schon, dass ich einige Spuren hinterlassen und weitläufige Netzwerke schaffen konnte. Zur Feier meines 50. Geburtstags im vorigen Jahr hab ich auch meine Grundschullehrerin eingeladen. Sie war anfänglich enttäuscht, dass ich „nur“ Kaufmann bin. Nach meinen Erzählungen war sie dann doch stolz, was aus dem schwachen Entlein geworden ist. (IB)
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