Teil 2 – In dieser dreiteiligen Serie berichten wir vom Mittelalter im Pustertal. Heute sehen wir uns das 11. Jahrhundert bis ins Jahr 1500 etwas genauer an.
Es sah eine Zeit lang so aus, als gelänge auch den Bischöfen von Trient und Brixen die Festigung ihrer weltlichen Macht bis hin zu deren Ausbau zur geistlichen Landesherrschaft, wie das etwa den Erzbischöfen von Salzburg gelungen war. Aber bis ins ausgehende 12. Jahrhundert hatten die von den Bischöfen mit der Ausübung der Grafschafts- und Voteigewalt betrauten einheimischen Adeligen einen derartigen Machtstatus erobert, dass die Bischöfe diesbezüglich immer mehr ins zweite Glied zurückfielen. Zu diesen adeligen Familien gehörten die Grafen von Morit-Greifenstein (u. a. auch als Vögte über das Stift Innichen), die Grafen von Eppan sowie jene von Tirol und von Andechs. Im Pustertal übte bis zum Jahre 1091 jenes Geschlecht die Grafschaftsrechte aus, das auch im benachbarten Lurngau die gleichen Aufgaben zu erfüllen hatte. Beim Aussterben der Lurngauer Grafen um das Jahr 1130 drängten die Grafen von Görz nach, die damals machtmäßig im heutigen Osttirol und am Isonzo fixiert waren. Ihre wirtschaftliche Basis war die Vogtei über das Hochstift Aquileia.
Es lässt sich beobachten, dass die Bischöfe bei Schenkungen und Belehnungen auf ihre adeligen Herkunftsfamilien durchaus Rücksicht nahmen, so wie andererseits diese den Hochstiften gegenüber entgegenkommender waren, wenn einer der Ihren auf dem jeweiligen Bischofsthron saß. So übertrug Otto von Andechs als Bischof von Brixen (ca. 1165 bis ca. 1170) nicht nur die Grafschaftsrechte im Inn- und im Pustertal als Lehen an seinen Bruder Berthold von Andechs, sondern auch die Vogtei über das Brixner Hochstift. Zu Ende des 12. Jahrhunderts hatte das Geschlecht der Andechser gute Aussichten, an Inn, Eisack und Rienz einen mehr oder weniger geschlossenen Herrschaftskomplex zu schaffen. Ihr Aufstieg war eine Folge ihrer pro-staufischen Politik. So übertrug ihnen Kaiser Friedrich I. die Markgrafschaft Istrien. Ab 1180 durften sie sich Herzöge von Meranien nennen. Als aber dem Markgrafen Heinrich von Istrien die Mitwisserschaft an der Ermordung des Königs Philipp von Schwaben nachgewiesen wurde, verfiel dieser der Reichsacht und ging aller Lehen und Rechte verlustig, die – was den Brixner Bereich anging – an den Grafen Albert III. von Tirol fielen. Das schien das endgültige Aus für die Andechser zu sein, aber schon 1232 musste der Bixner Bischof Heinrich von Taufers auf Anordnung Kaiser Friedrichs II. den Andechsern die Lehen der Brixner Kirche im Inn- und Pustertal wieder zurückstellen. Als die Andechser aber im Jahre 1248 mit Herzog Otto II. im Mannesstamme ausstarben, fiel auch das Pustertal wieder an den Grafen von Tirol, um dann wenig später bei deren Aussterben (Graf Albert III. von Tirol starb 1253) an die Grafen von Görz überzugehen.
DAS PUSTERTAL ALS GÖRZISCHES TERRITORIUM (1271 bis 1500)
Die Grafen von Görz erbten die Grafschaft Tirol, weil Meinhard III. von Görz eine der beiden Töchter Alberts III. von Tirol geheiratet hatte. Dem gleichnamigen Sohne Meinhards, Meinhard II. (als Graf von Tirol II., als Graf von Görz IV.), gelang es dann, aus dem „Land im Gebirge“, wie es bis dahin genannt wurde, die Grafschaft Tirol zu machen. Im Jahre 1271 teilten sich die beiden Brüder Meinhard IV. und Albert II. das tirolisch-görzische Erbe. Die Grenze zwischen beiden Herrschaftsgebieten wurde die „Haslacher (= Mühlbacher) Klause“ am westlichen Eingang ins Pustertal. Die Herrschaft Graf Alberts II. von Görz/Tirol umfasste weit verstreute Bereiche, die vom Pustertal über das heutige Osttirol und Oberkärnten bis nach Friaul an den Isonzo reichten und weiter an die Adria bis nach Istrien. Den westlichen Teil davon nannte man die „Vordere Grafschaft Görz“, zu der auch das Pustertal gehörte. Zur „Hinteren Grafschaft Görz“ zählten vor allem die norditalienischen Gebiete. Residenzstadt der Görzer war Lienz.
Die Görzer mussten, um ihre ziemlich verstreut liegenden Gebiete zusammenzuhalten, eine kluge und zurückhaltende Politik betreiben, zumal sie sich gegen die immer mächtiger werdenden Habsburger im Norden und gegen die Republik Venedig im Süden zu behaupten hatten. Den Habsburgern gelang es im Jahre 1335, sich das Herzogtum Kärnten zu sichern, das etwa ein halbes Jahrhundert früher Meinhard II. von Tirol-Görz von Rudolf von Habsburg verliehen bekommen hatte. Auch die Abtretung Tirols an die Habsburger (1363) konnten die Görzer nicht verhindern. Im 15. Jahrhundert war die Herrschaft der Görzer mehr als einmal gefährdet, am meisten, als Kaiser Friedrich III. den Görzern die Herrschaft Lienz entriss und einige Gerichte östlich des Kärntner Tores an Kärnten angliederte. Aber dann entschloss man sich habsburgischerseits doch, die Herrschaft der Görzer ausklingen zu lassen, zumal sich im Laufe des 15. Jahrhunderts ihr Aussterben ankündigte, das im Jahre 1500 dann auch tatsächlich eintrat. Die Habsburger hatten sich das Erbe der Görzer schon lange vorher vertraglich gesichert, sodass der Übergang der Grafschaft an die Habsburger auch dank der klugen Vorgangsweise Maximilians I. niemanden überraschte.
DIE LANDGERICHTE DES PUSTERTALS
Das Pustertal war schon vor der Zuteilung an die Grafen von Görz in Landgerichte eingeteilt. Im Jahre 1500 kamen folgende Landgerichte an die Grafschaft Tirol zurück: Schöneck, St. Michelsburg, Enneberg, Neuhaus-Uttenheim, Rasen, Welsberg sowie Heinfels und die Herrschaft Lienz im heutigen Osttirol mit ihren fünf Gerichten (Stadt Lienz, Landgericht Lienz, Virgen, Kals und Lienzer Klause). Der Anteil des Hochstiftes Brixen am Pustertal war beträchtlich. Dazu gehörte das Gericht Niedervintl, die Stadt Bruneck und deren Umgebung, das Gericht Anras mit Tilliach und Bannberg. Die freisingische Hofmark Innichen gehörte ja bis zuletzt zur görzischen Einflusszone, bestand aber schon um 1500 nur mehr aus Resten des ehemals von Herzog Tassilo III. verliehenen Gebietes. Das Hofgericht Sonnenburg gab es seit dem 12. Jahrhundert. Es verblieb beim Kloster bis zu dessen Aufhebung. Seit den Zeiten Meinhards II. waren die Grafen von Tirol mit der Vogtei über Sonnenburg belehnt. Die Herrschaft Taufers hatte nie zur Grafschaft Görz gehört. Den Herren von Taufers, einem der wenigen edelfreien Geschlechtern Tirols, war es gelungen, sich lange dem Vormachtsstreben Meinhards II. von Tirol zu entziehen. Im Jahre 1306 kam es zu einer Teilung des Tauferer Besitzes. Hugo V. von Taufers erhielt die Burg Taufers samt den Dörfern im Tauferer Boden und im Ahrntal, Ulrich III. das Tauferer Tal zwischen Mühlen und Gais mit den Burgen Uttenheim und Neuhaus und verstreutem Besitz im ganzen Pustertal. Hugos Anteil fiel samt der Burg Taufers im Jahre 1315 durch Kauf an den Tiroler Landesfürsten, jener Ulrichs kam 1336 auf dem Erbwege an die Grafen von Görz und erst mit der görzischen Erbmasse im Jahre 1500 wieder an Tirol zurück.
DAS GÖRZISCHE ERBE WIRD ZU GELD GEMACHT
König Maximilian I. war aufgrund seiner politischen Ambitionen immer in Geldnöten und daher auf der Suche nach Darlehen, die er dann irgendwie absichern musste. Ein schon um 1500 sehr bewährtes Pfand waren die Einkünfte aus den Bergwerken. Darlehen, die in die königliche Kasse flossen, wurden mit Kupfer oder Silber zurückgezahlt, das die Bergbauunternehmer als Abgaben an den Landesherrn als Regalieninhaber zu liefern hatten. Die ältere Form der Kreditsicherung war die Verpfändung von Liegenschaften und Grundbesitz. Diese Form wandte König Maximilian an, nachdem ihm das görzische Erbe zugefallen war. Der Geldgeber war der Bischof von Brixen Melchior von Meckau (1488 bis 1509). König Maximilian lieh sich fast 40.000 Gulden aus der bischöflichen Kasse und verpfändete dafür die Schlösser Uttenheim, St. Michaelsburg und Schöneck mit all ihren Ämtern, Gerichten und Zugehörigkeiten. Noch im gleichen Jahre folgte dann auch die Verpfändung von Schloss Heinfels an den Bischof, die Pfandsumme lag diesmal bei 30.000 Gulden. Für die verpfändeten Güter behielt sich Maximilian einen „ewigen Wiederkauf“ vor, d. h. er konnte sie jederzeit zurückkaufen, allerdings nur alle zusammen und nicht einzeln. Die in den betroffenen Gerichten ansässige Bevölkerung war von dem Wechsel unter bischöfliche Herrschaft alles eher als erbaut. Sie weigerte sich, dem Bischof gegenüber das Treueversprechen abzulegen und tat das erst, als König Maximilian den Gerichten ihre bisherigen Privilegien bestätigte. Gut ein Jahr später folgte dann die Verpfändung der Herrschaft Lienz samt den umliegenden Gerichten an den Freiherrn Michael von Wolkenstein-Rodenegg.
DIE RECHTLICHE LAGE DER BAUERNSCHAFT
Es war vor allem Meinhard II. zu verdanken, dass sich die in der Grafschaft Tirol ansässigen Bauern größerer Freiheiten erfreuten als die Bauern in der nicht nur sozial rückständigen Grafschaft Görz. Hatte sich in Tirol im Laufe des Mittelalters die freie Erbleihe fast überall durchgesetzt, die den Bauern den Verbleib auf den Höfen nicht nur auf Lebenszeit garantierte, sondern auch die Vererbung der Höfe an die Nachkommen gestattete sowie deren Verkauf, waren in der Grafschaft Görz viele Bauern auch noch an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert dem Freistiftrecht unterworfen. Nach diesem Recht bestand das Leiheverhältnis zwischen dem Grundherrn und den Bauern nur für eine bestimmte Zeit, und zwar meist nur für ein Jahr. Dann musste es erneuert werden, und zwar gegen die Entrichtung einer eigenen Gebühr. Beim Freistiftrecht waren auch die grundherrlichen Abgaben generell höher als bei der freien Erbleihe. Meist zählten auch Robotdienste dazu, die am Beginn der Neuzeit von Bauern, welche gemäß der freien Erbleihe an ihre Grundherren gebunden waren, nicht mehr verlangt wurden. In diesen Rahmen passt es auch, dass in Tirol damals die Bauern schon zu den Landständen gehörten, welche der Landesherr vor wichtigen Entscheidungen einberief und um Rat fragte. Diese Landstände gab es in der Grafschaft Görz auch, aber zu ihnen gehörte nur der Adel und keine Bauern. Winkten also einerseits den im Jahre 1500 zu Tirol gekommenen Einwohnern der ehemaligen Grafschaft Görz im landwirtschaftlichen Bereich mehr Rechte, wurden sie andererseits gezwungen, sich in das rechtliche, fisikalische und militärische System Tirols einzupassen. Man gewährte ihnen eine relativ kurze Übergangszeit, danach war z. B. die Grundsteuer sowohl von den Bürgern und Bauern als auch vom Adel zu zahlen. In der ersten Zeit empfand man die den ehemals görzischen Gerichten auferlegten Steuerquoten als viel zu hoch und klagte, weil man sich übervorteilt fühlte. Bedenkt man diesen Aspekt, so wundert man sich, dass der genau ein Vierteljahrhundert nach dem Zusammenschluss von Görz und Tirol ausbrechende Bauernkrieg im Pustertal nicht mehr Wirkung zeigte.
(RT)
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