Kriegsfreiwillige im Ersten Weltkrieg

Astree Regensberger Oberschmied aus Sand in Taufers.
27. September 2018
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27. September 2018
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Kriegsfreiwillige im Ersten Weltkrieg

TEIL II – Die Familie des Kaufmannes Franz Wehling aus Herne in Westfalen hatte 7 Söhne und 4 Töchter. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, meldeten sich die Söhne als Kriegsfreiwillige und traten den Kriegsdienst an. Otto Wehling, der fünfte Sohn, führte ein Kriegstagebuch, das erhalten ist und einen guten Überblick über das Leben von Kriegsfreiwilligen gibt.  

Die Fahrt nach Siebenbürgen und die Offensive gegen die Rumänen
Von Budapest ging die Fahrt nach Siebenbürgen. In Peter-Falva (Petersdorf) kam Wehling wieder zu seiner Truppe. Einige Tage später begann die große Offensive gegen die Rumänen. Wehling war als Verbindungoffizier zu einem österreichischen Stabe abkommandiert und hatte die Gelegenheit, von einer Anhöhe aus die Offensive sich entwickeln  zu sehen. Die ganze siebenbürgische Ebene war von diesem Standpunkt aus zu übersehen. Die Offensive klappte hervorragend, die Rumänen wurden auf Anhieb aus ihren Stellungen geworfen und der Vormarsch unverzüglich aufgenommen. Ende September wurde Hermannstadt besetzt. Dann ging der Vormarsch der Batterie in Richtung Roten-Turm-Pass. Dort entwickelte sich Anfang Oktober 1916 die Schlacht, in der die Rumänen vernichtend geschlagen  wurden.

20 km bis bayrisches Bier
Kurz hinter Fogaras bekam Otto Wehling ein Kommando zur Abgabe von Beute-Geschützen. Er war in Persang stationiert. Ein kleines Intermezzo aus dieser Zeit: Von einer Durchmarschierenden hatte er erfahren, dass in Sarkany, etwa 20 km von Persang entfernt, bayrisches Bier ausgeschenkt wurde. Er ritt auf einem Pferd dorthin und fand auf dem Marktplatz den Ausschank zwischen zwei Häusern. Der Andrang war sehr stark, sodass auf Gläser gewartet werden mussten. Plötzlich stand sein Bruder Heinrich hinter ihm, den er seit 1914 nicht mehr gesehen hatte. Er lag mit seiner Eisenbahn-Kompagnie in dem Ort. Sie sahen sich später in Kronstadt und in Kimnieul – Sarat noch mehrere Male. In Kronstadt kam dann Otto Wehling wieder zur Batterie und setzte den Vormarsch fort in Richtung Predeal-Pass. Anfang November 1916 wurde Predeal nach starken Kämpfen  eingenommen.

Vormarsch in Richtung Sinaia (= königliche Sommerresidenz)
Anfang Dezember wurde der Widerstand gebrochen und der Vormarsch in Richtung Sinaia, der Sommerresidenz des rumänischen Königs, aufgenommen, die dann am 5.  Dezember 1916 genommen wurde. Dann kam der Befehl, am Schanz-Pass einen Zug der Batterie hoch oben ins Gebirge zu befördern und in Stellung zu bringen. An diese Tour dachten die Soldaten noch lange, denn sie war mit unvorhergesehenen Zwischenfällen verbunden, die  übermenschliche Strapazen brachten. Als die beiden Geschütze in etwa 2000 m Höhe befördert waren, wurden die Soldaten von einem Schneesturm überrascht, der es unmöglich machte vorwärtszukommen. Inzwischen war auch die Meldung gekommen, dass die Rumänen alle Stellungen am Passe geräumt hatten, sodass sich die Exkursion der deutschen Truppen als vergebens herausstellte. Nun aber kam das Schlimmste. Beim Abtransport der Geschütze hatten die Österreicher, ob mit oder ohne Absicht, die Langtaue eines Geschützes losgelassen und dieses sauste den Steilhang hinab und blieb etwa 50 m unterhalb des Grates im Schnee stecken. Wir kamen mit dem einen Geschütz in Tattrang (in Siebenbürgen) an, wo der andere Teil der Batterie in Ruhe lag. Nach langen Berichten, Meldungen und Telephonaten kam nach einigen Tagen vom Korps der Befehl, unter allen Umständen das Geschütz wieder aus dem Gebirge zu holen, was dann auch gelang.

Mitte Dezember 1916 wurde, nachdem der Rumäne restlos geschlagen war, der Vormarsch durch den Bodra-Pass in Richtung Busau fortgesetzt. Hier wurde unter Leitung von Oberst Epp, dem Kommandeur des bayrischen Infanterie-Leib-Regimentes, eine Expedition ausgerüstet, die das Gebirge von rumänischen Nachtruppen zu reinigen hatte. In dem unwirtlichen Gebirge mussten teilweise bis zu 20 Pferde bzw. Ochsen vorgespannt werden, um überhaupt vorwärtszukommen. Wehling war einige Zeit als Verbindungsoffizier zu Epp abkommandiert. Weihnachten 1916 verlebte er in einem kleinen Flecken hoch oben in den Transsylvanischen Alpen. Diese Expedition dauerte bis Ende Dezember 1916. Am 24. Dezember 1916 wurde Otto Wehling das E. K. II verliehen. Mitte April war er noch einige Tage in Berlin und fuhr dann über Breslau, wo er seinen Freund Schwertner traf, nach Wien und über Budapest zurück nach Siebenbürgen. Dort verblieb er 3 Monate bis zum Mai 1917. Dann wurden sie in Forsani verladen und fuhren durch Ungarn, Österreich, Bayern und Baden nach dem Elsass nördlich von Mühlhausen. Anfang April bekam er seinen zweiten Heimaturlaub und fuhr zusammen mit Schwertner nach Deutschland. In Herne traf er einige frühere Mitschüler, die gleichzeitig in Urlaub waren.

1917: Rumänien + Siebenbürgen + Vogesen + Italien
Nach der Einnahme von Kimnieul-Sarat wurde der Vormarsch nordwärts fortgesetzt. Am Fuße des Gebirges entlang ging es durch die Moldau-Ebene in Richtung Forsani, wo die Wegverhältnisse sehr schlecht waren und stellenweise an Serbien erinnerten. Über Odobesti hinaus kamen sie in ein Sumpfgebiet , das Putna-Tal. Hier sollte der Vormarsch zum Halten  kommen. Südlich der Putna ging die Batterie in Stellung und traf sofort Vorbereitungen, diese auszubauen. Das war Anfang Januar 1917. Der   Schneefall setzte sofort ein, und es folgte ein langer und strenger Winter. Die Stellung bei Garestea hielt die Batterie bis Mitte Februar. Dann wurde sie nach Siebenbürgen zurückgezogen, wo sie über drei Monate in Ruhe lag. In dieser Zeit wurden vom Alpenkorps aus in verschiedenen größeren Städten Siebenbürgens regelrechte Volksfeste veranstaltet.

Von Rumersheim aus machten wir zu mehreren Kameraden verschiedene Touren zum Schwarzwald. Mitte Juni rückten die Soldaten in Stellung, und zwar westlich von Mühlhausen. Die Stellung war sehr ruhig, während in unserem nördlichen Nachbarabschnitt, dem Hartmannsweilerkopf, dauernd Gefechte stattfanden. In der Vogesen-Stellung blieben wir etwa 4 Wochen und kamen dann in die Nähe von Colmar nach Andolsheim ins Ruhequartier. Von dort aus sollten wir nach Flandern, wo gerade die große Offensive begonnen hatte. Wir wurden nach etwa 8 Tagen verladen. Die Fahrt ging aber nicht nach Norden, sondern nach Osten. Wir vermuteten, dass wir nunmehr an die Ostfront kommen würden, da die große Bolschewiken-Offensive im Gange war. Die Fahrt ging durch Süddeutschland nach Salzburg und weiter über Wien nach Budapest. Erst hier wurde klar, dass wir auf einem Kriegsschauplatz am Balkan eingesetzt würden. Nach einer ununterbrochenen Fahrt  von 6 Tagen und 7 Nächten wurden wir in Persani in Rumänien ausgeladen und sofort in Marsch gesetzt. In der Frühe wurde sofort eingeschossen und schon gegen 9 Uhr vormittags begann die Offensive, die nur deshalb so schnell aufgenommen wurde, um einer gemeinsamen russisch-rumänischen Offensive, die für den folgenden Tag angesetzt war, zuvorzukommen. Der Widerstand war entsprechend, und wir kamen nur schrittweise vorwärts. Zwar wurde im ersten Ansturm die Putna überschritten, aber wir kamen im Verlauf von 4 Wochen kaum 15 km vorwärts. Dazu kam, dass wir die ganze Zeit über eine Hitze von 50 Grad im Schatten hatten und dass große Teile des Truppenkörpers durch das Putna- und Lusita-Fieber lahmgelegt waren, wogegen selbst Chinin nicht viel half. Die Verluste, die wir erlitten, waren gewaltig. Im August 1917 wurden wir aus der Front herausgenommen und in die Etappe in ein Ruhequartier verlegt. Hier konnte sich Mann und Pferd von den Strapazen dieser missglückten Offensive erholen. Die Ruhe dauerte aber nicht lange. Schon nach 8 Tagen wussten wir, dass wir wieder für eine neue Offensive ausersehen waren, und zwar gegen Italien.

Italien
Die Fahrt ging durch Rumänien und Ungarn nach Österreich in die Gegend östlich von Klagenfurt. Die Fahrt ging den wunderschönen Wörther See entlang nach Villach, dann nach Süden in die Nähe von Radmannsdorf.  Hier wurden wir ausgeladen und marschierten nur in Nachtmärschen, tagsüber durfte nicht marschiert werden, über Krainburg nach Podledo, wo wir in Stellung gingen, und zwar vor Tolmein am Isonzo. Im Talkessel von Tolmein, unmittelbar am Isonzo, in einem ausgetrockneten Flussbett bezogen wir Stellung. Der Aufmarsch der gesamten Artillerie nahm mehrere Wochen in Anspruch. Zur Täuschung des Feindes trugen wir alle österreichische Mützen. Ende September 1917 begann die große Offensive, die trotz der enormen Vorbereitungen die Italiener überrumpelte. Gasschießen während der Nacht und ein zweistündiges Tommelfeuer am Morgen machten die Stellungen sturmreif. Im ersten Anhieb wurden diese genommen und der Isonzo überschritten. Am Morgen der Offensive kam ein Zufallstreffer in die Nähe einer unserer Baracken, wodurch mein bester Kriegskamerad Schwertner als einzigster während der ganzen Offensive getötet wurde. Ich hatte nicht einmal Zeit, ihn zu beerdigen, da  für uns der Befehl des Stellungswechsels gekommen war. Am ersten Tage wurde das vorgestellte Ziel überholt. Wir rückten am nächsten Tag wieder weiter vor ins Isonzotal, gingen dann vor Karfreit ins Gebirge in Richtung Mont  Matajur, der auch bald genommen wurde. Nach eigenen weiteren Vormarschtagen im Gebirge kamen wir bald in die oberitalienische Tiefebene. In Cividale, dem ersten größeren Ort in Italien, stießen wir auf große Lebensmittellager. Der Vormarsch ging schnell weiter, da die Italiener nicht den geringsten Widerstand leisteten. Es ging jetzt nach Westen in Richtung Udine, dann weiter zum Tagliamento. Da hier alle Übergänge zerstört waren, mussten wir nach Norden, wo wir bei San Daniele den Tagliamento überschritten. Dann ging es am Fuße der Alpen entlang nach Conegliano und nach Valdobbiadene , einem Villenort der Venezianer. Hier an der Piave kam der Vormarsch zum Stehen. Wir lagen einige Zeit in Valdobbiadene, ehe wir auf die andere Flussseite übersetzen konnten. In der ersten Zeit war es noch ruhig, später aber kamen Verstärkungen von Franzosen und Engländern an die italienische Front, die den Ort stark unter Feuer nahmen.

In Valdobbiadene blieben wir einige Wochen liegen. Hier an der Piave kam auch der Vormarsch zum Stillstand. Es war uns zwar gelungen, den Piave im Norden, also im Gebirge, zu überschreiten, jedoch misslang der Übergang in die Ebene. Unsere Stellung wurde später auf das westliche Piaveufer südlich von Feltre verlegt. Hier entwickelten sich außerordentlich schwere Kämpfe um den Monte Grappa. Ende Dezember 1917 erhielt Otto Wehling vom Regiment telefonischen Bescheid, in Urlaub zu fahren, und zwar auf Befehl des großen Hauptquartiers. Wie sich später herausstellte, hatte seine Schwester Milly an den Kaiser die Bitte gerichtet, allen sieben Brüdern gleichzeitig Urlaub zu geben, um in Herne gemeinsam Weihnachten feiern zu können. Er kam aber nicht rechtzeitig zu Hause an, weil der Urlaubszug erst am 24. Dezember von Pordenone abfuhr, sodass er zu Hause nur mehr seinen Bruder Emil antraf.

1918: Das Kriegsende
Mitte Januar 1918 fuhr Otto Wehling vom Urlaub zurück nach Italien. Nun wurde das Alpenkorps noch einmal  an die Westfront (Lothringen, Flandern) verlegt. Vom 15. bis zum 29. April 1918 war die große Angriffsschlacht am Kemmel, wohl die größte Materialanhäufung während des ganzen Weltkrieges. Die letzten Kriegsmonate spiegeln sich dann in Otto Wehlings Kriegstagebuch nur mehr in Kurznotizen. Rückmarsch nach Deutschland nennt sich das letzte Kapitel seines Tagebuches. (RT)