Etwas vom früheren Leben im Ahrntal 2

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Etwas vom früheren Leben im Ahrntal 2

Teil 2 – Im zweiten und letzten Teil über das frühere Leben im Ahrntal sprechen wir von Geldsorgen, Kindern, Sparen, Steuern. Auch damals schon hatten die Leute sehr viele Sorgen. Die Dienstboten überlebten bei den genannten Löhnen nur, weil sie Kost und Unterkunft beim Bauern hatten.

Die Dienstboten überlebten bei den genannten Löhnen nur, weil sie Kost und Unterkunft beim Bauern hatten (Der „Puschtra“ berichtete in der Ausgabe vom 16. Februar 2019). Für sie allein reichte der Lohn, für eine Familie brauchte er gar nicht zu reichen, denn für mittellose Dienstboten bestand bis nach dem Ersten Weltkrieg ein rigoroses Heiratsverbot. Jahrhunderte lang war es das Hauptziel der Tiroler Bevölkerungspolitik, das Anwachsen der mittellosen Bevölkerungsschicht hintan zu halten. Das geschah folgendermaßen: Wer heiraten wollte, musste auf dem Gemeindeamte um den „politischen Ehekonsens“ einkommen und seine Vermögensverhältnisse offen legen. Da die Gemeindevorstehungen nur aus Bauern bestanden, wurde dieser Ehekonsens verweigert, wenn die Gefahr bestand, dass die Kinder aus einer solchen Ehe der Gemeinde zur Last fielen. Manchmal ließ man Leute heiraten, wenn die Frau schon älter war und deswegen „Kinder nicht mehr zu befürchten waren“, wie die Gemeindevorstehungen dann verlauteten. Etwas zu schaffen machte den Gemeinden die Bestimmung, dass heiraten durfte, wer eine Gewerbeberechtigung hatte. Ein findiger Ahrntaler suchte, nachdem sein erstes Ehekonsensansuchen abschlägig beschieden worden war, um das Besenbindergewerbe an und bekam dieses und daraufhin im zweiten Anlauf auch die Heiratserlaubnis. Der Preis war allerdings hoch, denn er musste seine Kinder später am Samstag zum Krapfenbetteln auf die Bauernhöfe schicken, und Krapfenbettler war im Ahrntal ein Schimpfwort bis nicht vor lange, man gebrauchte es, wenn man ausdrücken wollte, dass jemand ein Habenichts sei, einer, dessen Existenz zu Lasten der anderen gehe.

Das Anwachsen der mittellosen Bevölkerung hintanhalten
Es war durch Jahrhunderte ein Hauptziel der Tiroler Bevölkerungspolitik, das Anwachsen der mittellosen Bevölkerung hintanzuhalten. Es begann im 16. Jahrhundert mit dem Verbot der Höfeteilungen und der Schaffung neuer, kleinerer Hofstellen. Verordnungen im 17. und 18. Jahrhundert wiederholen dieses Anliegen immer wieder. So besagte etwa ein Hofdekret aus dem Jahre 1722, dass Personen mit weniger als 200 Gulden Vermögen nicht heiraten durften. Ausgenommen waren jene, die ein Handwerk ausübten. Der Merkantilismus räumte dann damit auf oder versuchte es zumindest, denn damals begann man Bevölkerungsreichtum auch als Reichtum zu sehen. Jetzt war der Staat für die Bevölkerungsvermehrung, aber die Gemeinden (nicht nur in Tirol) waren immer noch dagegen. 1753 forderte ein Hofdekret die örtlichen Behörden auf, Heiratsbewilligungen großzügiger auszustellen. Nach der napoleonischen Ära zog man diesbezüglich wieder die Notbremse. 1820 überließ man die Heiratsbewilligungen den Gemeinden. Gegen die Nichterteilung des Ehekonsenses gab es zwar Rekursmöglichkeiten, diese waren aber derart kostspielig, dass sie kaum beansprucht wurden.1870 wurde die Ehebewilligung der Gemeinden beseitigt, sie wurde nun Sache des Bezirkshauptmannes.

Gegen uneheliche Kinder
Es wurde früher im Ahrntal, aber nicht nur dort, fast alles ausgenützt, um die Kinderzahl klein zu halten und so das Anwachsen der mittelosen Bevölkerung zu verhindern. So sah man auch in landwirtschaftliche Krisen ein Gutes, denn sie ließen das Heiratsalter steigen und späte Heirat drückte die Kinderzahlen. Auch Fehlgeburten infolge harter Arbeit der Frauen wirkten als Geburtenkontrolle. Für uneheliche Geburten waren sittliche Anschauungen wesentlicher als die wirtschaftlichen Verhältnisse. Diesbezüglich spielte der Einfluss der Geistlichen eine große Rolle. Auch dadurch, dass man uneheliche Kinder in vielerlei Hinsicht benachteiligte, versuchte man ihre Zahl klein zu halten. So galten unehelich Geborene rechtlich in der Gemeinde als Fremde mit allen Folgen. Es gab kein Recht auf den Namen des Vaters, keines auf Allmendenutzung, auf den Meisterbrief usw. Aber schon am Namen waren ledige Kinder ein Leben lang zu erkennen, man gab ihnen nämlich häufig ausgefallene biblische Namen.

Niedrige Löhne hohe Steuern
Man würde heute aus den niedrigen Löhnen der Dienstboten wahrscheinlich ableiten, sie seien zumindest von Steuern befreit gewesen. Eine Zeitlang war das so. Aber im Jahre 1632, mitten im Dreißigjährigen Kriege, wurden auch sie steuerpflichtig. Ein Gutsbesitzer, dessen Gut 2000 Gulden wert war, zahlte damals 3 Gulden im Jahr, ein Durchschnittsbauer 30 Kreuzer (= ½ Gulden), ein Häusler 20 Kreuzer im Jahr und eine Dienstmagd 10 Kreuzer, also immerhin ein Drittel von dem, was ein Bauer zahlte. In den 30-er Jahren des letzten Jahrhunderts kassierte unser damals noch ziemlich neues Vaterland von einem Knecht, der 600 Lire im Jahr verdiente 175 Lire Dienstbotensteuer, die der Bauer und der Knecht je zur Hälfte zu tragen hatten. War der Knecht Junggeselle, kam noch einmal 135 Lire Junggesellensteuer dazu. Es war anscheinend auch früher schon gelegentlich so, dass diejenigen die Spesen zahlten, die sie nicht verursachten.

Einleger oder Anleger
Ein ganz dunkles Kapitel der Tiroler Sozialgeschichte ist die Altersversorgung der Dienstboten. Es gab Bauern, die Dienstboten, auch wenn sie arbeitsunfähig wurden, auf dem Hofe duldeten und ihnen ein Gnadenbrot gewährten. Aber darauf bestand kein Rechtsanspruch. Normalerweise wurde ein alter oder kranker Dienstbote zu Lichtmess einfach nicht mehr ums Weiterbleiben gefragt. Damit stand er auf der Straße. Er war zum Einleger oder Anleger geworden. Im Ahrntal war die zweite Bezeichnung üblich. Der Anleger hatte das Recht, sich auf einem Bauerhof einige Tage oder Wochen aufzuhalten. Die Aufenthaltsdauer wurde von der Gemeinde festgelegt, sie richtete sich nach der Größe des Hofes. Die Anleger aßen meist abseits von der Bauernfamilie und den Dienstboten und schliefen im Stall und nicht in einem Bett, denn sie waren voll von Läusen, Wanzen und Flöhen. Auf einem Hof in Weißenbach hat man einmal einen besonders stark verlausten Anleger in einen Zuber gesteckt und recht rigoros vom Ungeziefer befreit. Als er wenig später verstarb, festigte sich bei den Leuten dort die eh schon bestehende Meinung, dass es ungesund sei, zu radikal mit Wasser und Seife umzugehen. Erkrankte ein Anleger, trug man ihn auf einer Trage von Hof zu Hof, wie die Gemeindeliste es vorsah, bis er endlich in den Friedhof überwechselte, der vorläufigen Endstation nicht nur für Anleger. Bei der Beerdigung hat es dann „klein geläutet“, denn die große Glocke ertönte nur, wenn Bauern beerdigt wurden. Wenn alte Leute von den Anlegern erzählen, dann nennen sie selten deren Namen, sondern nur deren Übernamen. Da ist die Rede vom Schlutzigen und vom Schissloppn, aber kaum einmal fällt der Name einer Frau. Es war wohl so, dass Frauen das Anlegerschicksal viel öfter erspart blieb als den Männern, weil sie einfach länger „zu brauchen waren“ als diese, etwa zum Spinnen und Stricken oder einfach zu häuslichen Hilfsarbeiten. Das Los der Anleger hat sich erst erleichtert, als die Kirche im Gefolge der Sozialenzyklika „Rerum Novarum“ von Papst Leo XIII. sich nicht nur den Problemen der Industriearbeiter stellte, sondern auch denen des Landproletariats. Damals wurden an vielen Orten Armenhäuser erbaut, die sich vor allem der Versorgung der alten und kranken Dienstboten widmeten. Im Ahrntal baute der christlich-sozial gesinnte Pfarrer Georg Holzer um 1900 das Spital, wie das Armenhaus später meist genannt wurde. Damit war zwar die von der Gemeinde organisierte Anlegerzirkulation von Hof zu Hof nicht zu Ende, aber zumindest die kranken Dienstboten hatten einen Ort, wo sie unterkamen, wenn sie die Tour von Hof zu Hof nicht mehr schaffte.

Maria Lichtmess und der Schlenggltag
Auf den meisten Ahrntaler Bauernhöfen gehörten ein Knecht, ein Fütterer, ein Knechtl, ein Hütbub (Hirte, meist nur Büi genannt), eine Dirn (Magd), ein Dirndl und eine Gietsche (Mädchen) zu den Dienstboten. Sie wurden zu Lichtmess vom Bauern verpflichtet und für ein Jahr in Dienst gestellt. Für sie war der Maria-Lichtmess-Tag (2. Februar) ein wichtiger Stichtag. Einmal war er der Zahltag für die Arbeit des vergangenen Jahres. Dann traten zu Lichtmess die neuen Dienstboten ihren Dienst an und jene, die vom Bauern nicht mehr ums Bleibn gefragt worden waren, verließen den Hof wenige Tage später. Da der Lichtmesstag auch ein kirchlicher Feiertag war, ging man am Vormittag zur Kirche. Nach einem besseren Mittagessen rief der Bauer die Dienstboten der Reihe nach in die Oberstube, wo er ihnen den Lohn auszahlte, der für das Jahr vereinbart worden war. Lohnvorschusszahlungen kamen kaum vor, sie galten als Beweis einer gewissen Liederlichkeit. Der 3. und der 4. Februar wurden als die schiffrigen Werktage bezeichnet. Jene Dienstboten, die den Dienstort wechselten, hatten frei, wer beim gleichen Bauern blieb, musste arbeiten. Der eigentliche Tag für den Dienstwechsel, für das Schlenggeln, war der 5. Februar, der Tag der Heiligen Ingenuin und Albuin, der sogenannte Jannewantag. Männliche Dienstboten, die um Lichtmess noch keine Aussicht auf einen Arbeitsplatz hatten, steckten sich einen Löffel auf den Hut, setzten sich ins Gasthaus oder gingen gar auf den Lichtmessmarkt nach Bruneck, wo sie den Bauern auffielen, die noch auf der Suche nach Dienstboten waren und sie dann eventuell fragten. Es ist allerdings anzunehmen, dass bei solchen Gelegenheiten die nicht gerade fleißigsten Knechte auf die nicht gerade menschlichsten Bauern trafen. Den Transport des persönlichen Gepäckes von einem Hof zum andern erledigten die männlichen Dienstboten meist selbst. Das Gepäck der Magd transportierte nicht selten jener Mann, welcher ihr ein gewisses Interesse entgegen brachte und ihr seine Zuneigung bestätigte, indem er ihr den Holzkoffer oder die Truhe mit den Habseligkeiten zum neuen Bauern trug. Für die männlichen Dienstboten führte der Gepäckstransport vom alten zum neuen Bauern oft übers Dorfgasthaus. Im Ahrntal war die Nacht vom 5. auf den 6. Februar eine Freinacht, welche die schlenggelnden Dienstboten bei Spiel und Tanz dort zubrachten. Oft ging dabei ein namhafter Teil des vom Bauern erhaltenen Jahreslohnes drauf. Der Lohn, der zwischen Dienstboten und Bauern vor Dienstantritt vereinbart wurde, bestand teils aus Geld und teils aus Kleidern und Schuhen. Er war so niedrig, dass ein Dienstbote nie im Stande gewesen wäre, eine Familie zu ernähren, was aber – siehe oben – auch gar nicht notwendig war. (RT)