“Fühle dich stark, aber nicht unsterblich.“
Zahlreiche Erstbegehungen hat der Extrembergsteiger und Bergführer Simon Gietl in Stein gemeißelt wie in Grönland, Peru, Patagonien, China, Indien oder in Alaska. Im Jahre 2016 wurde er zum besten Alpinisten Italiens gewählt und bekam die Auszeichnung „Grinetta d’oro“. Simon Gietl zählt zu den besten Bergsteigern der Welt. Höchste Zeit, den 35-Jährigen im Puschtra zu Wort kommen zu lassen.
Was bedeuten für Sie die Berge?
Erstmal: Unter Bergsteigern ist man per „Du“, also bleiben wir bitte dabei. (schmunzelt) Vergleichsweise spät, erst mit 18 Jahren, kam ich zum Bergsteigen und zwar durch einen puren Zufall. Ich machte Autostopp und da nahm mich ein Kletterer mit und erzählte mir voller Begeisterung von seinen Erlebnissen. Es faszinierte mich so sehr, dass ich es selbst versuchen wollte. Seitdem lässt mich das Klettern nicht mehr los. Es macht mich einfach glücklich, wenn ich in den Bergen unterwegs sein darf, ob privat oder als Bergführer. Die eigenen Spuren in einer unberührten Wandflucht zu hinterlassen, ist das Eindrucksvollste und ebenso Ausdrucksstärkste was man erleben kann. Die eigenen Entscheidungen und das eigene Klettervermögen verschmelzen gewissermaßen zu einer Handschrift, die der Kletterer hinterlässt.
Welche Tour kommt für dich in ein Bild mit Goldrahmen?
Das sind viele. Am liebsten bin ich in den Dolomiten zum Klettern unterwegs. Es freut mich aber nicht minder, wenn ich in alpinen Fels- und Eiswänden eigene Linien hinterlassen kann, wie die „Odyssee“ zusammen mit Robert Jasper und Roger Schäli, sie gilt bis dato als die schwierigste Route durch die Eiger Nordwand. Ein- bis zweimal im Jahr zieht es mich auch immer wieder in die große schöne Welt hinaus, wo ich dankend viele traumhafte Orte kennen lernen durfte. An den hohen Bergen der Welt ist gewiss die Erstbesteigung der Route „Shiva’s Ice“ am Shivling 2017 zusammen mit Vittorio Messini ein Higlight. In den Dolomiten ist es die Route „Can jou hear me“ an der Cima Scotoni, die ich 2018 Free Solo in Gedenken an meinen guten Kletterfreund Gerry Fiegl bestieg.
Gibt es auch Momente der Angst?
Am Berg sind eine akkurate Vorbereitung wichtig und die Risiken zu erkennen und dementsprechend zu handeln. Bei großen Projekten begleitet mich auch eine Portion Angst, aber das ist gut so. Sie zeigt mir, dass mir mein Leben etwas bedeutet und lässt mich voll konzentriert sein und auch umkehren oder auf einen Gipfel verzichten, falls es die eigenen oder die äußerlichen Bedingungen nicht zulassen.
Was macht für dich den Nervenkitzel aus?
Getreu meiner Philosophie besteige ich Berge mit rein traditioneller Absicherung durch Friends, Keile und mit Normalhaken – ich gebe dem Berg die Chance, mich abzuwerfen. Meine physischen und psychischen Fähigkeiten und Grenzen kennenzulernen ist der Nervenkitzel dabei und auch meine Motivation.
Was sagt deine Familie zu diesem extremen Leben?
Meine Frau Sandra versteht meine Leidenschaft und auch meine Lust nach neuen Abenteuern. Über Free Solo-Touren ist sie natürlich nicht happy, aber das verstehe ich, es ist ganz natürlich, dass dir die Partnerin nicht auf die Schulter klopft, wenn du alleine ohne Seil kletterst. Wenn ich nicht in den Bergen unterwegs bin, genieße ich die Zeit mit meiner Familie – mit Sandra und meinen Lausbuim Iano und Iari, sie sind sechs und drei Jahre alt, also noch zu klein, um mein Tun zu verstehen. Der Name Iano bedeutet „Anfang, Neubeginn“ und Iari „Dem Herzen entsprungen“.
Beeinflusst dich am Berg der Gedanke an deine Familie?
Willst du die absolute Sicherheit haben, bist du bei dieser Aktivität fehl am Platz. Aber wo im Leben hast du die? Ich denke, gerade deshalb ist das Leben so wertvoll, weil du es verlieren kannst. Mein größtes Ziel war immer schon, alt zu werden, lange schon bevor ich Frau und Kinder hatte. Damit will ich sagen, dass ich einen Stand in einer Wand immer schon so sorgsam wie möglich absicherte, jetzt mit Familie schlag ich deswegen keinen Haken zusätzlich. Primär geht es ja um mein eigenes Leben, das ich für mich und meine Lieben erhalten will.
Was ist dein nächstes großes Ziel?
Anfang Juli starte ich zusammen mit Thomas Huber und einem Filmteam nach Pakistan. Unser Ziel wäre einen der Latok Gipfel zu besteigen und zwar den Latok1 oder Latok3 im Karakorum, wofür wir uns acht Wochen Zeit nehmen werden. (IB)
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