Was vor 100 Jahren noch unaussprechlich war, bekommt auf Schloss Bruck eine Ausstellung. Historische Einzelstücke von Unterwäsche aus längst vergangenen Zeiten sind im Westtrakt des Museums zu finden und erinnern daran, dass das „Unaussprechliche“ dennoch existierte. Der Museumsleiter auf Schloss Bruck, Stefan Weis und die Kuratorin und Schneidermeisterin Marianna Oberdorfer enthüllen im Gespräch was Mann und Frau einst darunter trugen.
Mit der Teilausstellung im Museum Schloss Bruck wird Kleidungstück um Kleidungsstück das Geheimnis vergangener Zeiten enthüllt. „Die „Unaussprechlichen“ – was man so darunter trug…“ so der Titel der Ausstellung, der dem Tabu-Thema damit alle Ehre macht, denn „einst galten schon sichtbar gemachte Knöchel einer Dame als verrucht. Ab 1900 gab es zwar schon Unterwäsche aber aus moralischen Gründen wurde sie möglichst nicht erwähnt“, weiß Museumsleiter und Historiker Stefan Weis, der anmerkt: „Für die Unaussprechlichen haben wir auch den passenden Ausstellungsraum gefunden: Vom Westtrakt durch eine kleine, eiserne Türe getrennt, wirkt selbst das Betreten der kleinen Kammer wie ein Blick auf Verbotenes.“
Was trug Mann und Frau darunter?
„Unterwäsche gibt es seit dem 16. Jahrhundert, aber nur die Männerunterhosen. Die Frauenunterwäsche hat es erst drei Jahrhunderte später gegeben“, erzählt Schneidermeisterin und Trachtenexpertin Marianna Oberdorfer. Bis Frau zu ihrer Unterwäsche kam, sei es ein langer Weg gewesen, erzählt die Schneidermeisterin. Marianna Oberdorfer besitzt in ihrem Fundus unter anderen interessanten Stücken auch eine Männerunterhose aus dem 20. Jahrhundert aus der Region. Als Stoffe seien entweder feine Baumwoll- oder Leinengewebe verwendet worden, weiß die Schneidermeisterin. „Diese Männerunterhosen wurde immer als Knickerbocker bezeichnet. Sie waren an der Passe in zahlreichen, kleinen Falten gelegt und reichten bis unter das Knie. Vorne waren fünf oder sechs Knöpfe angenäht zum Schließen des Hosenlatzes und der Schnitt hatte ein überdimensionales Gesäß“, beschreibt die Expertin. Je nach Träger seien die Hosen auch mit Monogrammen verschönert worden.
Erst um 1900 fingen die Frauen an, ähnliche Unterwäsche wie die Männer zu tragen, weil es einfach „praktisch“ war, sagt die Fachfrau. Diese Frauenunterhosen seien laut Marianna Oberdorfer fast rundum offen gewesen. „Die beiden Röhren wurden in der Taille mit einem Bund zusammengehalten, sonst waren sie offen und weit. Die Frauen aus unserer Region haben auch Unterwäsche aus Baumwoll- und Leinstoffen getragen. Die Unterhosen sind in Pisen und Falten gelegt und mit Rüschen und wunderschönen Klöppelspitzen verzieht worden – Rüschen waren ein Symbol für Weiblichkeit“.
Als Materialien für ihre Unterhosen hätten vor allem die wohlhabenden Damen im 1900 Jahrhundert Chinaseide und China Crepe getragen und die Hosen seien sehr weit geschnitten gewesen. Mitte des 1900 Jahrhunderts hätten dann auch größere Teile der Bevölkerung schon Unterwäsche getragen, vor allem die städtische Bevölkerung. In der Peripherie habe man aber auch Anfang des 20. Jahrhunderts noch keine Unterhosen getragen. „Vor allem Leute, die weniger Geld hatten, hatten in unseren Gebieten noch keine Unterhosen. Die Damen trugen nur Röcke, die aus einem dicken Loden gefertigt wurden und für die Frauen sehr unbequem war. Aus Erzählungen meiner Mutter, weiß ich, dass damals unter der Kleidung Schluck-Pfoate getragen wurden. Das waren Hemden, die meist bis zum Oberschenkel oder bis zum Knie reichten und mit einer Sicherheitsnadel im Schritt zusammengehalten wurden. Nicht so die Herren, diese haben eben diese Knickerbocker-Unterhosen getragen. Es gab auch zweiteilige Kombinationen, allesamt aufwändig verarbeitet und reich verziert und auch Vorgänger des heutigen Bodys“, erzählt Marianna Oberdorfer. Laut der Schneidermeisterin habe es in dieser Zeit auch Unterwäsche für Kinder aus Waffelpique gegeben. Für diese Art von Unterwäsche seien vor allem verschiedene Arten von strukturiertem Gewebe verwendet worden.
Modisch wurde das „Darunter“ mit der industrielle Revolution und der Herstellung von neuen Stoffen. Zudem sei es sicher bequemer gewesen etwas zu tragen, als darunter nichts anzuhaben, meint Marianna Oberdorfer. In den 1930er- und 1940er-Jahren hat es dann auch erste Textilien aus Nylon gegeben, die vor allem die städtische Bevölkerung getragen hat. Einige Modelle waren sogar bereits bedruckt.“
Die ‘Unaussprechlichen‘ verdanken ihren Namen der Tatsache, dass es ab 1900 zwar schon Unterwäsche gab, sie aber aus „moralischen Gründen möglichst nicht erwähnt wurde. Genauso wenig ist über das Wechseln der Unterwäsche bekannt.“ Marianna Oberdorfer weiß aber aus Überlieferungen, dass die Unterwäsche nicht mit der normalen Haushaltswäsche gewaschen wurde, sondern meist bei Dämmerung und Dunkelheit damit die Wäsche keiner zu Gesicht bekommt.
“Maß & Form. Gwand aus Osttirol“
„Die Ausstellung zur Unterwäsche ist ein erweiterter Teil der Ausstellung ‘Maß & Form. Gwand aus Osttirol‘, weil sich die Frage ergeben hat, was eigentlich unter den historischen Trachten getragen wurde“, sagt Marianna Oberdorfer. Die Ausgestaltung erfolgte mit Leihgaben der Haller Fotografin und Trachtenexpertin Brigitte Watzek. Die Ausstellung „Maß & Form“ ist noch bis zum 26. Oktober 2020 auf Schloss Bruck zu sehen. (TL)
Interview mit dem Museumsleiter auf Schloss Bruck, Stefan Weis.
Puschtra: Die Ausstellung „Maß & Form. Gwand aus Osttirol“ auf Schloss Bruck ist um ein pikantes Detail erweitert worden: Unterwäsche aus vergangenen Zeiten. Was wird aktuell gezeigt?
Stefan Weis: Die Ausstellung wurde im Westtrakt des Schlosses aufgebaut und sie zeigt die Trachtenvielfalt und die Entwicklung der Täler im südöstlichen Tirol. Dabei ist die Entwicklung der Tracht über die Jahrhunderte etwas sehr wichtiges, denn die Tracht ist nichts Statisches und Unveränderliches, sondern die Vergangenheit vermischt sich mit modernen Einflüssen und auch Einflüssen von benachbarten Regionen. So haben wir zum Beispiel hier im Museum eine Pustertaler Männertracht einem Haute Couture Kleid gegenübergestellt, das Elemente der Pustertaler Männertracht in sich vereint. Es ist sehr spannend, wie sich hier Vergangenheit und Gegenward mischen. Dazu kommt noch die Ausstellung „Die Unaussprechlichen – was man so darunter trug“ von Unterwäschen-Ausstellungstücken, die rund 100 Jahre alt sind und uns viel über vergangene Zeiten erzählen, denn Unterwäsche an sich ist vor allem für Frauen bis ins 20 Jahrhundert hinein nicht typisch gewesen.
Warum trägt die Ausstellung den Titel: Die „Unaussprechlichen“ …?
Über Unterwäsche wurde einfach nicht gesprochen. Ob jetzt aus Scham oder aus falsch verstandener Moral ist heute nicht nachvollziehbar. Das Thema war ein Tabu, denn über das, was nicht sein darf, wurde nicht gesprochen.
Wie sind die Reaktionen der Besucherinnen und Besucher der Ausstellung?
Ich habe selten so oft über Unterwäsche gesprochen, weil das für die Besucher auch eine ganz spannende Sache darstellt. Die Gäste waren von dieser kleinen Ausstellung so fasziniert, ja die Ausstellungsstücke zauberten sogar ein Lächeln in ihre Gesichter. Selten habe ich von den Menschen so private Details erfahren, wie durch diese Ausstellung. Die Besucher erzählten, dass sie selbst als Kind unförmige und kratzige Teile tragen mussten und dass ihre Großeltern nie Unterwäsche getragen hätten, dass sie sich für diese Unterwäsche geschämt hätten…
Welche historischen Dokumente geben über das Thema Unterwäsche außer den Kleidungstücken selbst noch Auskunft?
Wenn man die Forschung zuzieht findet man einige Aufzeichnungen. So zum Beispiel aus Aufzeichnungen für Kleidungsvorschriften für die Armee oder aus Auszügen von Giacomo Casanova, als er beschreibt was eine Frau alles an Kleidungsstücken trug – eine Unterhose war nicht dabei. An solchen Beispielen lässt sich nachvollziehen, wie es damals um die Unterwäsche stand. Bei uns hingegen wurde über Unterwäsche nicht gesprochen. Demgegenüber stehen wieder Funde, wie ein 500 Jahre alte Büstenhalter, der auf Schloss Lengberg im Lienzer Talboden gefunden wurde.
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