Von den kleinen Leuten ohne großes Geld

Die Wirtschaft in Sexten
5. Februar 2021
Patrick Baumgartner
5. Februar 2021
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Von den kleinen Leuten ohne großes Geld

(Teil 1) – Es ist ein Problem, das, was die Geschichte über die kleinen Leute hergibt, zusammenzufassen und sichtbar zu machen. Es sind ja diejenigen, welche die Geschichte machen, fast immer auch diejenigen, welche darüber berichten.

Die Folge davon ist, dass Bert Brecht mit Recht fragte, ob Gajus Julius Cäsar nicht doch zumindest einen Koch dabei hatte, als er Gallien eroberte. So müssen wir die Reste der Tiroler Geschichte zusammenkratzen, wenn wir über den kleinen Mann, den Arbeiter, mehr wissen wollen. Zum Begriff Arbeiter ist etwas klarzustellen. Das Wort drückt aus, was heute kaum mehr einer sein will. Da ist man schon lieber ein Arbeitnehmer, und die Politiker tragen dem Rechnung. Wir haben unter einem Arbeiter jemanden zu verstehen, der gegen Lohn eine Arbeit für einen anderen verrichtet, nicht etwa nur den Industriearbeiter oder den Proletarier von ehedem.

Die Arbeiter in der Landwirtschaft und im Handwerk
In der Zeit, bevor es Industrien gab, fanden wir abhängige Arbeiter hauptsächlich in zwei Bereichen, nämlich in der Landwirtshaft die Dienstboten und im Handwerk die Gesellen und die Lehrlinge. Für Tirol, und da vor allem für das ausgehende Mittelalter und die frühe Neuzeit, müssen wir einen dritten Bereich dazunehmen, und zwar den Bergbau. Tirol war von etwa 1400 bis 1650 ein Bergbauzentrum von europäischem Rang und hätte ein reiches Land sein können, wenn nicht verschwenderische Fürsten den Reichtum des Landes verplempert hätten. Die Masse der Bevölkerung lebte in Europa vor der Industrialisierung von der Landwirtschaft. Im Mittelalter waren es in manchen Ländern mehr als 90 Prozent der Bevölkerung. Im 19. Jahrhundert waren es in Tirol dann immer noch weit mehr als die Hälfte. In Südtirol waren es nach dem 2. Weltkrieg immer noch 42 Prozent. Die Industrialisierung setzte hier ja sehr spät ein.

Freie und unfreie Dienstboten
Da durch viele Jahrhunderte die große Mehrheit der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebte, wird zunächst der Bereich der bäuerlichen Dienstboten unter die Lupe genommen. Im frühen Mittelalter traten zweierlei Dienstboten auf, und zwar freie und unfreie. Der freie Dienstbote tat gegen Bezahlung Dienst bei einem Herrn und wohnte im Hause des Herrn. Er konnte den Dienstherrn wechseln, wenn die Dienstzeit abgelaufen war. Der freie Dienstbote war in Gefahr, mit der Zeit unfrei zu werden. Meist begab er sich freiwillig in die Unfreiheit um wirtschaftlicher Vorteile willen, manchmal auch weil er sich verschuldet hatte. Das, was wir bis in die Gegenwart als Dienstboten verstehen, geht zurück auf die freien mittelalterlichen Dienstboten. Daneben gab es die unfreien Dienstboten. Wahrscheinlich war sehr lange die große Mehrheit der Dienstboten unfrei.

Unfrei sein im Mittelalter
Was bedeutet es im Mittelalter eigentlich, unfrei zu sein? Das hieß zunächst, der Unfreie war eigentlich gar kein Mensch, sondern, wie es das bayrische Volksrecht klar aussagt, eine recht- und willenlose Sache im Besitze des Herrn. Wurde ein Unfreier getötet, so musste als Buße nur ein Achtel des Geldes gezahlt werden, das man als Wergeld für einen Freien zahlte. Ein Adeliger war 16mal so viel wert wie ein Unfreier. Der Herr durfte den Unfreien körperlich strafen, auch töten, das Foltern war erlaubt. Der Unfreie durfte sich verheiraten, der Herr sah das sogar gerne, weil die Kinder von Unfreien wieder unfrei wurden und so im Besitz des Herrn blieben. Heirateten Unfreie zweier verschiedener Herren, dann teilte man sich die Kinder, das wurde schön vertraglich geregelt. Ein Beispiel: Im Jahre 1227 schlossen Heinrich, der Bischof von Brixen, und Albert, der Graf von Tirol, einen Vertrag. Darin heißt es: „Wir sind übereingekommen, … daß die Kinder zwischen der Kirche und dem Grafen gemeinsam und ohne Streit aufgeteilt werden, wenn sich Ministeriale der Kirche von Brixen und der Grafschaft (Tirol) verheiraten …“ Hier sieht man, wie man mit den kleinen Leuten umging. Die damalige Gesellschaft verhielt sich so, auch der Bischof von Brixen war beim Kinderteilen dabei. Die Kirche war voll in die Zeit integriert. Sie machte sich die Unfreiheit der Menschen genauso zu Nutze wie der Adel, vor allem wirtschaftlich. Schon äußerlich merkte man den Unfreien übrigens ihren Stand an. Sie mussten geschorenes Haar tragen als Zeichen der Unfreiheit und hatten geschlitzte Nasen und Ohren, so wie man dem Vieh die Kennzeichen des Herrn in die Ohren drückt, heute noch. Der Ausdruck „Schlitzohr“ geht darauf zurück.

Das Ende der Unfreien
In Tirol verschwinden die Unfreien im Laufe des 16. Jahrhunderts, die letzten gab es im Matschertal im Vinschgau. Sie gehörten dem Grafen Trapp, der in der Churburg hauste. Sie hatten es schon besser, als ihre Schicksalsgenossen in früherer Zeit oder in anderen Ländern. Es waren nicht mehr Dienstboten, sondern Bauern, die einen Hof bewirtschafteten, der, wie sie selber, dem Herrn gehörte. Graf Jakob Trapp schildert in einer Schrift aus dem Jahre 1561 das Leben seiner Eigenleute in Matsch. Er hebt vor allem die Vorzüge hervor, die diese Unfreiheit mit sich brachte. Fast bekommt man als Leser Sehnsucht danach, doch auch zu den Unfreien des Grafen zu gehören. Die Frage, warum die Unfreien in Tirol so früh verschwanden, lässt sich damit beantworten, dass es ihnen gelang, aus dem Dienstbotenstande auszubrechen und zu Bauern zu werden. Und ein Bauer ist immer schon mehr als ein Dienstbote, auch wenn der Bauer unfrei und der Dienstbote frei ist. Früher war man wer, wenn man eigenen Rauch aufsteigen ließ, also ein Haus hatte. Von Kindern und Dienstboten durfte man nichts annehmen, ein Zeichen, dass man ihnen nicht traute. Kam ein Bauer vor Gericht, so glaubte man ihm grundsätzlich mehr als einem Knecht. Der Bauer überwachte auch das religiöse Leben der Dienstboten. Er schrieb ihnen vor, wann und wie oft sie in die Kirche zu gehen hatten, zu welcher Andacht sie zu Hause sein mussten. In manchen Dörfern war den Dienstboten sogar die Zeit des Schlafengehens vorgeschrieben. Im Winter mussten sie um 9 Uhr im Bett sein, im Sommer um 10 Uhr. Der Gasthausbesuch war den Dienstboten lange verboten. Später gingen sie zwar ins Gasthaus, durften aber niemals mit einem Bauern an einem Tisch sitzen, manchmal sich nicht einmal in der gleichen Stube aufhalten.

Heiraten, wenn Kinder nicht mehr zu befürchten waren
Bis in die Zeit Maria Theresias galt für Dienstboten ein strenges Eheverbot, wenn sie besitzlos waren. Die Dienstboten mussten die Erlaubnis der Gemeinde einholen, wenn sie heiraten wollten. Da die Gemeindevorstehungen, die darüber zu entscheiden hatten, nur aus Bauern bestanden, bremste man, wo man konnte, aus Angst meistens, die Kinder der armen Dienstboten würden der Gemeinde zur Last fallen. Wenn ein gewisses Vermögen da war, ließ man die Leute heiraten. Manchmal durften auch ältere Brautpaare heiraten, „wenn Kinder nicht mehr zu befürchten waren“, wie es in den Mitteilungen der Gemeindevorstehungen dann oft hieß. Das Eheverbot wurde unter Maria Theresia nur vorübergehend ausgesetzt, 1820 wurde es wieder eingeführt. Es blieb dann bis 1920 in Kraft. Aus den Dienstbotenordnungen, welche die Regierung in Innsbruck oder jene in Wien herausgaben, erfuhren die Dienstboten vor allem ihre Pflichten, von den Rechten ist viel weniger die Rede. Picken wir ein paar Punkte aus der Dienstbotenordnung der Kaiserin Maria Theresia heraus. Dort heißt es u. a.: Wer aus dem Dienst läuft, wird bestraft, ebenso das Zusammenschwören der Ehehalten untereinander mit Pranger und Ausweisung. Der Hausherr war berechtigt, mit gehöriger Mäßigung verknüpfte häusliche Züchtigung zu verhängen. Als Schlaginstrument durfte ein fingerdicker Stock verwendet werden. Im Jahre 1781 brachte Josef II., der Sohn und Nachfolger Maria Theresias, eine neue Dienstbotenordnung heraus. Dort stand u. a., dass Einverständnisse des Gesindes, den Lohn zu steigern, unterbleiben müssten, ebenso was übertriebene Forderungen nach Speise und Trank betraf. Zwischen dem Verlassen des alten und Antritt des neuen Dienstplatzes durften höchstens drei Tage vergehen, die zum Verrichten eigener Geschäfte verwendet werden durften. Es bestand Dienstzwang. Ein Dienstbüchlein mit dem Vermerk des Gerichtes und dem Geburts- und Sittenzeugnis waren vorgeschrieben. Einem entlaufenen Dienstboten durfte niemand Unterkunft geben. Lange hätte man die fehlenden Rechte für die Dienstboten damit erklären können, dass sie keine Steuern zahlten. Aber das währte nicht ewig. 1632 wurden in Tirol auch die Dienstboten steuerpflichtig, und wie. Ein Gutsbesistzer, dessen Gut 2000 fl wert war, zahlte 3 fl Steuer pro Jahr, ein Durchschnittsbauer 30 kr, ein Häusler 20 kr und eine Dienstmagd 10 kr, also ein Drittel von dem, was ein Bauer zahlte, obwohl ihr Lohn nichts anderes war als ein schäbiges Trinkgeld (1 fl = 60 kr). (RT)