Teil III – Wurde letztes Mal die Industriearbeit in der Vergangenheit angesprochen, so schauen wir uns die direkten Folgen an, nämlich aufgrund der schlechten Arbeitsverhältnisse entstanden erste soziale Bewegungen.
Frühe soziale Bewegung
Dementsprechend sind die ersten Arbeiter, die uns als Vorboten einer Tiroler Arbeiterbewegung begegnen denn auch Handwerksgesellen, die auf ihrer Wanderschaft im Ausland, vor allem in der Schweiz und in Frankreich, mit modernen Ideen konfrontiert wurden. Diese Ideen wurden verbreitet von einer Art Geheimbünde. 1834 bildete sich in Paris der „Bund der Geächteten“, der das Ziel hatte, das ganze Feudalsystem abzuschaffen. Die deutschen Arbeiter schafften sich ihre erste politische Organisation mit dem „Bund der Gerechten“. Die Tiroler Handwerksgesellen, die aus dem Ausland kamen, wurden aber in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts von der Polizei besonders überwacht. Es war damals ja die Zeit des Metternich´schen Polizeistaates. Schon um 1840 wusste die Polizei von Spuren kommunistischer Vereine in Tirol. Wurde ein Geselle schlimmer linker Gedanken verdächtigt, dann steckte man ihn zum Militär. Das Revolutionsjahr 1848 kann man für die Arbeiterbewegung in Tirol vergessen, nicht einmal bürgerliche Vereine bildeten sich, die mit demokratischen Ideen liebäugelten. Der Vorteil war, dass nach dem Sieg der Reaktion im Jahre 1849 dann keine solchen Vereine aufzulösen waren.
Das „Kommunistische Manifest“ von Marx und Engels hatte trotzdem auch in Österreich große Wirkung. Man begann die Arbeiter zu fürchten, bevor sie sich noch organisierten. So hielt sich 1851 ein Tischlergeselle in Girlan auf, der vorher im Ausland gewesen war und in Innsbruck wegen Beteiligung an kommunistischen Umtrieben abgestraft worden war. Als man auch bei einem Bauern kommunistische Ideen entdeckte, wurde die Polizei aktiv. Doch der Geselle bekehrte sich, ging täglich zur Kirche und behielt seine Ideen für sich. Das wirkte, er durfte bleiben. Der vorlaute Bauer wanderte nach Kalifornien aus. Girlan war gerettet.
Die Kirche und das Soziale
Die Katholische Kirche begann sich auch in Tirol um die Arbeiter zu kümmern, 1852 wurde in Innsbruck der Kolpingverein gegründet. In der 2. Hälfte des 19. Jh. gab es in Tirol dann die ersten Versuche, die Arbeiter zu organisieren. Interessanterweise war es vor allem das liberale Bürgertum der Städte, das diesen ersten Arbeitervereinen wohlwollend zur Seite stand. Es begann 1864 mit der Gründung eines Arbeitervereins der Eberle´schen Buchdruckerei in Bozen (ehemals Ferrari-Auer). Es folgten dann weitere Vereinsgründungen, die alle den Segen der Unternehmer hatten und auch den der Polizei. Die Vereine schrieben sich in ihre Statuten, dass sie niemals politische und religiöse Fragen erörtern würden. Sie sind auch nicht in dem Sinne Vorläufer der Gewerkschaften, als sie höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten forderten. Trotzdem brachten sie auch Positives. Die Solidarität wurde durch den Zusammenschluss gefördert, auch wenn das nicht gewollt war. Die Bürger verfolgten mit der Unterstützung der Arbeiter und Arbeiterbildungsvereine zwei Ziele, einmal sollten die Arbeiter von den Ideen der Sozialisten ferngehalten werden, zum anderen hofften die liberalen Bürger die Arbeiter gegen den Klerikalismus im Lande einsetzen zu können.
Gründungsparteitag der österreichischen Sozialdemokratie (1874)
Damit wir das Ganze nicht überschätzen, einige Zahlen: 1873 zählten die Tiroler Arbeiterbildungsvereine zusammen 436 Mitglieder, wovon 100 auf Bozen, 196 auf Innsbruck und 140 auf Meran entfielen. Im Osten Österreichs vollzog sich die Entwicklung hin zur proletarischen Klassenpartei, während diese Entwicklung an Tirol vorbeiging. Am 5. April 1874 fand in Neudörfl an der ungarischen Grenze der Gründungsparteitag der österreichischen Sozialdemokratie statt, und wieder ohne Tiroler Beteiligung. Einige damals abgehandelte Programmpunkte:
allgemeines und gleiches Wahlrecht, Pressefreiheit, Trennung von Kirche und Staat, Schulpflicht für alle, Einführung des Normalarbeitstages, Einschränkung der Frauen- und Abschaffung der Kinderarbeit in der Industrie, Abschaffung aller indirekten Steuern, Einführung einer indirekten, progressiven Einkommensteuer usw.
Das Echo des Neudörfler Parteitages war schließlich auch in Tirol zu hören, obwohl man dort zu der Zeit sicher noch nicht von sozialdemokratischen Tendenzen sprechen kann. Fortschrittliche Kräfte in der Tiroler Arbeiterschaft spürten die Bevormundung durch die Bürger und strebten nach einer selbstständigen Organisationsform. Das Klassenbewusstsein wuchs langsam an. Allerdings orientierten sich die Tiroler Arbeiterführer mehr an den Lehren von Ferdinand Lassall als an jenen von Karl Marx. Lassall gründete den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein als unabhängige Organisation der deutschen Arbeiter. Er war nicht der Meinung, dass die Arbeiter den Klassenkampf durch die proletarische Revolution zu ihren Gunsten entscheiden müssten. Er war viel mehr der Meinung, dass der Staat durch Reformen die Arbeiter für sich gewinnen müsste. Als die Bürgerlichen merkten, dass ihnen die Arbeiter entschwanden, wehrten sie sich mit den Mitteln des von ihnen beherrschten Staates. Vereine wurden verboten, wenn sie sich politisch äußerten oder tätig wurden, Aktivisten aus Tirol ausgewiesen. Jetzt war es plötzlich aus mit Arbeiterfreundlichkeit der Bürger, weil die totale Bevormundung nicht mehr klappte.
Der Arbeiterverein in Innsbruck
Der Arbeiterverein in Innsbruck war die erste selbständige Organisation der Tiroler Arbeiter und wurde zur Keimzelle der Tiroler Arbeiterpartei (etwa ab 1875). 1879 kamen zur ersten freien Arbeiterversammlung 400 Arbeiter nach Innsbruck. Man diskutierte über eine neue Gewerbeordnung und über den 10-Stundentag. Der Bozner Arbeiterbildungsverein befreite sich etwas später auch von den Einflüssen des Bürgertums. Trotzdem wurde Tirol – im Vergleich mit dem Osten der Monarchie – von der Sozialdemokratie viel weniger berührt. Das bäuerliche Element unter den Arbeitern war stark. Und gerade die aus der bäuerlichen Welt kommenden Arbeiter waren geprägt von konservativ-katholischen Anschauungen und daher sozialistischen Ideen weniger zugänglich. Trotzdem gaben die jetzt klassenbewussteren Arbeiter immer kräftigere Zeichen ihrer Unzufriedenheit. In den 80er-Jahren kam es in Bozen und Innsbruck zu Streiks. Es begann der Kampf ums allgemeine Wahlrecht. Im Jahre 1888 erschien die erste und vorläufig einzige Nummer der sozialistischen Zeitung „Volksstimme“, einer Tiroler Arbeiterzeitung. Sie ging dann an Geldmangel ein. (RT)
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