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Felsmechanik

Was passiert mit dem Felsen, wenn darauf Dämme, Tunnels oder Brücken gebaut werden? Die Antwort dazu kennt Thomas Marcher. Der Leiter des Instituts für Felsmechanik und Tunnelbau an der Technischen Universität Graz, informiert im Interview über geologische Strukturen, Techniken und Störzonen im Tunnelbau und den Einfluss des Klimawandels in der Felsmechanik.

Puschtra: Herr Marcher, Sie beschäftigen sich seit über 20 Jahren mit Felsmechanik und Tunnelbau. Was fasziniert Sie an dieser Thematik?
Thomas Marcher: Faszinierend ist die Arbeit an der Schnittstelle zwischen der Geologie und dem Bauingenieurwesen. Die Geologie betrachtet die Gebirgsbildung und – umwandlung seit der Entstehung der Erdkruste vor knapp 4 Milliarden Jahren. Auf der anderen Seite beschäftigt sich das Bauingenieurwesen mitunter mit spannenden Infrastrukturbauwerken wie Dämmen und Talsperren, Kraftwerksbauten, Tunnels und Brücken, Tag- und Untertagebergbau. All diese Bauwerke stützen sich auf Fels ab. Dadurch werden Kräfte und Verschiebungen mobilisiert.

Was versteht die Wissenschaft unter Felsmechanik?
Felsmechanik beschäftigt sich mit dem Verhalten, also der Reaktion, der vom Menschen erstellten Bauwerke durch die auftretenden Kräfte und Verschiebungen auf einzelne Felskörper oder auf das aus einzelnen Körpern zusammengesetzte „Gebirge“.

Welche geologischen Strukturen sind für den Tunnelbau ideal und welche eignen sich nur bedingt?
Ideal sind natürlich Urgesteine, die nahezu massig und damit standfest anstehen. Gute Beispiele hierfür sind Granite, die z.B. in Skandinavien über weite Landesteile bereits sehr oberflächennah anstehen. Auch bei uns im zentralen Alpenraum im Bereich des Tauernfensters gibt es z.B. den felsmechanisch günstigen Zentralgneis. Dieser steht aber meist in großer Tiefe an und darüber stülpt sich die großflächige Schieferhülle. An der Oberfläche müssen wir meist mit stark beanspruchten Umwandlungsgesteinen, wie z.B. Grünschiefer und Quarzphyllit rechnen. Diese verwitterungsanfälligen und weniger kompetenten Gebirgsformationen stellen tunnelbautechnisch bereits erhebliche Herausforderungen dar. Besonders schwierig ist natürlich immer ein Tunnelvortrieb im Lockermaterial (z.B. in Sanden und Kiesen). Beispielweise die Brennerzulaufstrecke im Unterinntal, bei der Lockermaterial und Grundwasser durch entsprechende Bodenverbesserungsmaßnahmen zu beherrschen sind.

Welches sind die ersten Schritte, wenn ein Projekt für einen Tunnel gestartet wird?
Grundsätzlich steht am Anfang eine Bedarfsanalyse, denn Tunnel sollen einen bedeutenden Nutzen bringen; im Falle von Verkehrstunnel (Bahn/Straße) Zeitersparnis bzw. Verkehrsberuhigung. Daran schließt eine technische Machbarkeitsanalyse an. Dies bedeutet: sind die Gebirgsverhältnisse mit wirtschaftlichen Mitteln zu beherrschen und sind die Risiken für den Bau klein kann man „grünes Licht“ für weitere bzw. vertiefende Projektsphasen geben. Und, natürlich spielen – wie immer – der politische Wille und die finanziellen Mitteln eine bedeutende Rolle.

Mit welchen Techniken kann Untertagbau gewährleistet werden?
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Untertagebau bereits 1500-2000 Jahre v.Chr. begann. Die Perser errichteten zu dieser Zeit sogenannte Qanats. Tiefe Stollenbauwerke und Schächte, die zur sicheren Trinkwasserversorgung der damaligen Städte tiefliegende Grundwasserspiegel erreichten und teils bis heute funktionieren. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es bereits erste Tunnelbohrmaschinen – damals noch dampfbetrieben. Heute werden nach wie vor verschiedene Tunnelvortriebstechniken verwendet – je nach Anwendungsgebiet, geologischen Voraussetzungen und v.a. Länge der Tunnel. Extrem wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen Untertagebau für Bergbau und Untertagebau für Infrastrukturbau da die Ansprüche an die Bauwerke (Lebensdauer, Sicherheit und Komfort) extrem unterschiedlich sind. Der maschinelle Vortrieb mit Tunnelbohrmaschinen wird insbesondere für längere Tunnel immer beliebter; dennoch bleibt immer eine Nische für den klassischen Sprengvortrieb der viel flexibler eingesetzt werden kann.

Was versteht man in der Felsmechanik unter Störzonen?
Störzonen entstehen, wenn zwei Gesteinsbereiche oder tektonische Platten gegeneinander versetzt werden. Zwischen den Ufern des unbeeinflussten Gesteins auf jeder Seite kommt es durch die gegenseitige Verschiebung zu einer Bildung von Gesteinszereibsel, also sehr feines Matrixmaterial und darin eingebettet linsenförmige Festgesteinsreste. Diese Linsen können von Zentimeter bis 100er Meter groß sein, die Mächtigkeit der Störzone selbst kann im Bereich von Millimeter bis 100e Kilometer liegen. Im Tunnelbau trifft man auf beides, wenig beeinflussende gering mächtige Störzonen oder extrem mächtige und ungünstige Störzonenbereiche. Die Periadriatische Störzone ist die längste geologische Störungszone der europäischen Alpen. Durch die Kontaktzone zwischen der europäischen und der afrikanischen Kontinentalplatte entstand eine bis zu 700m mächtige Störzone. Auch mit dem Brennerbasistunnel trifft man bei Mauls – also nördlich von Brixen kurz vor Sterzing – in der östlichen Bergflanke auf diese geologisch instabile Zone mit besonders brüchigem Gestein, bis hin zu Lockermaterialcharakter. Der Tunnelvortrieb kann in diesem Abschnitt nicht mit Tunnelbohrmaschinen erfolgen. Auch ein klassischer Sprengvortrieb ist meist nicht notwendig, da Hydraulikhammer und Bagger in diesem Fall ausreichen. Allerdings ist die Vortriebsleistung in solchen Abschnitten extrem langsam; oft pro Tag nur 1 Meter.

Welchen Einfluss hat der Klimawandel bei der Planung im Gebirge?
Übergeordnet beeinflussen zwei Aspekte des Klimawandels die Felsmechanik und das Gebirgsverhalten. Zum einen die Starkregenereignisse deren Intensität vermehrt zu starker Erosion, Felssturz und Murenbildung führen. Der andere Aspekt ist der Verlust des Permafrosts in Meereshöhen über rd. 2.500 Meter. Permafrost hält die einzelnen Felskörper – wie ein Zement im Mauerwerk – zusammen und verhilft zu einer dauerhaften Stabilität der ausgesetzten Gebirgskämme und Bergspitzen. In unseren Alpen waren bis vor kurzem rd. fünf Prozent der Oberfläche unter Permafrost. Seit einiger Zeit nimmt dieser Permafrost kontinuierlich ab. Alpine Bergsteiger kennen das aktuelle Phänomen; ursprünglich stabile Hänge an den 3.000ern bröckeln und Felsbruch sowie Steinschlag gefährden den Aufstieg. Ein prominentes Beispiel aus dem Bauingenieurwesen ist der Bau der neuen Bergstation der Zugspitzbahn auf knapp 3.000 müA. Massive Vorkehrungen wurden getroffen um die Station am Gipfel trotz Rückgang des Permafrosts über die kommenden Jahrzehnte stabil zu halten. Prognosen gehen davon aus, dass an der Zugspitze bis ins Jahr 2050 der Permafrost vollkommen verloren geht.

Wie wird eine geologische Erkundung eines Tunnelbauwerkes durchgeführt?
Der Start beginnt immer mit einer sogenannten Desktop-Studie, d.h. bestehende Daten werden aufbereitet und ergänzt durch Erfahrungen aus in benachbarten bzw. ähnlichen Verhältnissen liegenden Tunnelbauwerken. Nachfolgend beginnt eine geologische Kartierung der Oberfläche entlang der Tunneltrasse, also alle Auffälligkeiten werden dabei notiert. Dies sind die Voraussetzungen für Erkundungsbohrungen bei denen Kernbohrungen – oftmals bis in große Tiefe – vorgenommen werden und das im Bohrloch befindliche Material gewonnen wird. Dieses Material kann dann inspiziert werden; zum einen rein visuell zum anderen werden Abschnitte festgelegt, die im Felsmechaniklabor auf unterschiedlichste Eigenschaften getestet werden.

Welche Bruchmechanismen unterscheidet die Wissenschaft im Tunnelbau?
Bruchmechanismen lassen sich gut in einem felsmechanischen Labor – wie unseres an der TU Graz – untersuchen. Die Gesteinsproben werden auf Druck, Zug oder Biegung unter Beobachtung der aufgebrachten Kräfte, der resultieren Verschiebungen und des resultierenden Bruchbildes untersucht. Aus den Ergebnissen lassen sich Informationen zum besseren Verständnis der Versagensmechanismen im Tunnelbau vor Ort ableiten. Die Bruchmechanismen können dabei von spröd, d.h. plötzlich/explosiv, über die Ausbildung von ausgeprägten Scherfugen bis hin zu Ausbauchungen der Probe durch ein duktiles Verhalten reichen.

Zu welchen Versagensmechanismen kann es im Untertagbau kommen?
Mehr als zwei Hände voll: zu den prominentesten zählen sicherlich das Ausgleiten von Felskörpern und große, langanhaltende Verschiebungen bei denen es quasi zu einer Quetschung des gesamten Tunnelquerschnittes durch zahlreiche Brüche im umgebenden Gebirge des Tunnels kommt. Es kann aber auch zu einem Ausknicken von Felskörpern aus einer Seite der Tunnelwand kommen bzw. einem Ablösen von Schollen aus der Tunnelberandung. Hochgefährlich, aber eher exotisch in unseren Regionen, ist ein explosionsartiges Versagen des umgebenden Gebirges durch Bergschlag.

Was hat Sie in der bisherigen Karriere als Felsmechaniker am meisten beeindruckt?

Thomas Marcher, Leiter des Instituts für Felsmechanik und Tunnelbau an der Technischen Universität Graz.

Da gibt es zumindest drei prägende Erfahrungen. Das eine ist sicherlich das Erlebnis, als verantwortlicher Felsmechaniker die Fertigstellung einer unterirdischen Kaverne für die Unterbringung der Kraftwerksturbinen zu erleben. Diese Kavernen haben Dimensionen die – als Größenvergleich – Platz für fünf Dorfkirchen im Inneren des Berges schaffen. Das lässt das Herz eines Felsmechanikers höher schlagen. Dann Momente, die das Herz fast stillstehen lassen: tief im Berg – tausend Meter Überdeckung des Stollens – hört man die Umlagerungsprozesse der Spannungen im Gebirge durch ein Knacken und Bersten. Dadurch wird der Prozess des Hohlraumbaus hörbar. UND es ist die Vorstufe zu dem gefürchteten Bergschlag im Untertagebau. Ganz eigene Momente sind auch das Beherrschen des Bergwassers im Untertagebau; egal ob die Menge des Wassers die Kapazität des Abpumpens überschreitet und der Tunnelvortrieb „absäuft“ oder der Druck des Wassers enorme und sehr gefährliche Kräfte annimmt.

Wie beeinflusst die steigende Digitalisierung die Felsmechanik zukünftig?
Eine hochinteressante Frage und auch ein aktuelles Forschungsthema bei uns an der TU Graz. Jeder Tunnelvortrieb liefert heutzutage digitale Daten. Nicht nur der mechanisierte Vortrieb mit der Tunnelbohrmaschine, sondern auch der konventionelle Tunnelvortrieb. Die unterschiedlichsten Sensoren, also Datenaufnehmer, werden genauer und in der Anzahl extrem häufig. Dadurch entstehen „Big Data“, die allein durch fachmännische (menschliche) Betrachtung nicht mehr handhabbar sind. Hier beginnen die systematische Datenanalyse und die Künstliche Intelligenz: Mustererkennung, Automatisierung und Prognosemodelle werden in Zukunft den Felsmechaniker, den Tunnelbauer und den Bergbaumann unterstützen (nicht ersetzen), um sicherer und wirtschaftlicher zu bauen. (TL)

 

INFO:

Den Vortrag „Felsmechanik – Spannung pur!“, der vom Landesmuseum Bergbau am 14. Juli organisiert wurde, hielt Thomas Marcher am Standort Steinhaus im Kornkasten. Interessierte können den Vortrag auf dem YouTube-Kanal des Museums unter https://youtu.be/ZGnsOhRR3-A abrufen.