Toblach – Wie grün ist der europäische Green Deal? Mit dieser zentralen Frage setzten sich die TeilnehmerInnen der Toblacher Gespräche im Grand Hotel auseinander. Alle Beteiligten waren sich einig: Europa ist auf dem richtigen Weg, aber es bedarf einer raschen und radikaleren Transformation der gesamten Gesellschaft.
Michael Steinwandter, Bodenbiologe und Umweltaktivist, meinte etwa, der gesamte westliche Lebensstil sei zu überdenken, Energie einzusparen wie auch der Verzehr von Fleischprodukten zu vermeiden. David Hoffmann, Klimaaktivist und Mitbegründer der Bürgerinitiative „Schenke Zukunft/Regala Futuro“ in Sterzing betrachtet das kapitalistische Wirtschaftssystem selbst als Teil des Problems. Der einzige Ausweg aus der Krise sei Aktivismus. Die beiden KlimaaktivistInnen Alexander Schönafinger und Janin Höllrigl, Mitbegründer von Mava Seggo, wiesen darauf hin, dass der Klimaplan der Südtiroler Landesregierung nicht umfassend sei, da die Emissionen der Landwirtschaft, die bei 20 Prozent liegen, nicht berücksichtigt wurden. Katharina Tschigg, Doktorandin an der EURAC, vermisste einen detaillierten Strategieplan bei der Ökologisierung der Gesellschaft. Noch völlig unberücksichtigt werde der Bereich des Tourismus.
Tagungsleiter Karl-Ludwig Schibel räumte mit dem Glauben auf, dass allein technische Lösungen das Klima retten würden. „Die Erde ist ein endliches System und in einem endlichen System kann es kein unendliches Wachstum geben“, mahnte Schibel. Ulrike Herrmann, Wirtschaftsredakteurin der taz in Berlin und erfolgreiche Buchautorin, stimmte Schibel bei. Wachstum gehöre zum Kern des Kapitalismus, und Konsum brauche es, um den Markt zu stabilisieren. „Wir brauchen nicht grünes Wachstum, sondern grünes Schrumpfen. Dabei werden ganze Branchen verschwinden wie die Flugindustrie. Auch das Privatauto wird keine Zukunft haben, weil die umweltfreundliche Energie nicht ausreicht. Herrmann zweifelte auch an, dass es Banken und Versicherungen in dieser Form noch geben werde. Paolo Pileri, Professor am Polytechnikum Mailand, kritisierte die Politik der italienischen Umweltpolitik, die keinen klaren Investitionsplan bei der Umsetzung des Recovery Plan erkennen ließe. Eine große Aufsplitterung der Kompetenzen und Verwaltung sei auszumachen. „Wir haben mit dem European Green Deal die einzige Chance diesen radikalen Wechsel zu leisten,“ betonte Martin Stuchtey, Professor für Ressourcenstrategie an der Universität Innsbruck, in seinen Ausführungen. In den letzten 200 Jahren wurden Rohstoffe aus der Natur entnommen, transformiert, benutzt und entsorgt. Ein zentraler Baustein des European Green Deal ist, aus dieser Logik auszusteigen und die Kreislaufwirtschaft systematisch aufzubauen. Am Ende leben wir in einer Welt, in der alles recycelt wird und kein Müll entsteht. Die globale Umgestaltung der Landwirtschaft wird das Schwierigste werden, gab Stuchtey zu Bedenken. Ein gutes Beispiel dafür präsentierte Christiane Grefe, Redakteurin der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ und Buchautorin, in ihrem Referat. Im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh mit 50 Mio. Einwohnern werden derzeit 16 Mio. Bauern auf nachhaltige Landwirtschaft umgeschult. Mangobäumen, Papayas und Bananenstauden werden gepflanzt, darunter gedeihen Mais und Bohnen, am Boden Zwiebeln und Kurkuma – eine natürliche Methode der landwirtschaftlichen Produktion ohne Pflanzenschutzmittel mit wechselnder Fruchtfolge. Im Mittelpunkt steht durch diesen Mischanbau der Versuch das natürliche Gleichgewicht und die Biodiversität zu erhalten. Auch in Europa finden wegweisende Experimente statt, die in diese Richtung gehen, erinnerte Grefe. Auf der abschließenden Podiumsdiskussion nahmen die Tiroler Landehauptmann-Stellvertreterin, Ingrid Felipe; EU-Abgeordneter Herbert Dorfmann; Bürgermeister von Belluno, Jacopo Massaro und Klimaforscher Georg Kaser teil. (PM/RED)
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