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100 Kilogramm Rennen

Ahrntal – „Wiea isch stork ginüi?“ – so lautet das Motto des einmaligen, ja verrücktesten Skitouren-Rennens im Ahrntal. Hier wird zur Abwechslung nicht auf ultraleichtes Material geschaut, sondern auf eine ganze Menge Kilos. Jeder Tourengeher muss beim Rennen auf dem Klausberg mindestens 100 kg auf die Waage bringen. Wer wird wohl stark genug sein?

„Verrückt“ ist wohl das Wort, welches das Konzept des Skitourenrennens am besten beschreibt.
2006 hatte eine handvoll Kumpels in Steinhaus die absurde Idee ihr Körpergewicht auf 100 Kilogramm aufzustocken und damit Skitour zu gehen; denn ansonsten wäre es ja zu einfach – nicht wahr? Nachdem sie diesen „Jucks“ ein paar Mal ausgeprobt hatten, kamen sie zur Schlussfolgerung ein Rennen auf die Beine zu stellen. „Damit Chancengleichheit herrscht und es eine richtige Challenge ist soll jeder der mitmachen möchte 100 Kilo auf die Waage bringen, so lauten die Voraussetzungen“, erzählt Kurt Niederkofler von der Bergrettung Ahrntal, die das Rennen seit einigen Jahren organisieren. Dies hat einen tragischen Hintergrund: Einer der Gründer des Skitourenrennens konnte von der Bergrettung nach einem Bergunfall nur mehr leblos geborgen werden. Seither wird das Rennen im Gedenken an ihm von der Bergrettung abgehalten.
In einer Sportart wie dem Skibergsteigen, bei der wie bei keiner anderen so sehr auf das Gewicht geachtet wird, ist normalerweise jedes mitgeschleppte Gramm zu viel. 70 Millimeter breiter Carbon-Ski, Carbon-Schuh, Carbon-Stöcke mit minimalistischer Rennbindung samt Titanschrauben und ultraleichter enganliegender Renn-Bekleidung – so sehe wohl die eigentliche Ausrüstung bei einem Vertikal-Rennen aus. Die Erfinder des 100 Kilogramm Rennens hielten davon allerdings nicht viel, der Spieß soll hier umgekehrt werden! Schafft es ein Teilnehmer nicht mit Eigen- und Materialgewicht auf die 100 Kilogramm (Männer), bzw. 70 Kilogramm (Frauen) zu kommen, wird er dementsprechend mit Sandsäcken beladen. Ein enorm leichter Athlet hat durch dieses Regelwerk einen erheblichen Nachteil, da er mehr Fremdgewicht mitschleppen muss. Derart „übergewichtig“ laufen die Teilnehmer von der Talstation (1052m) der Skiarena Klausberg bis zur Bergstation K1 (1850m). Nach dem Start führt die Strecke der Talabfahrt entlang nach oben, ab Hälfte der Distanz ist die Strecke dann frei wählbar und zwei bis drei verschiedene Varianten möglich. Gewogen wird jeder Skitourengeher vor dem Start, als auch im Ziel, den Ballast auf der Strecke abzuwerfen ist natürlich nicht gestattet! „Erlaubt ist eine Toleranz von maximal einen Kilo Unterschied, der wohl ausgeschwitzt wird, ansonsten führt es zur Disqualifikation!“, sagt Niederkofler streng. Auch Bleiringe, alte schwere Ski und andere gewichtige Zusatzlasten werden gewählt, um auf das geforderte Gewicht zu kommen. Die extra Schwergewichte werden zusätzlich belohnt: Pro zehn Kilogramm Übergewicht gibt es eine Zeitbonifikation von drei Minuten. Einzige weitere Voraussetzung war, dass die Teilnehmer Skitourenausrüstung verwenden: „Heuer hatten wir Anfragen, ob auch mit Laufschuhen oder dem E-Bike gestartet werden darf“, lacht Niederkofler. Insgesamt waren bei der 15. Austragung 106 Teilnehmer mit dabei, 19 davon waren Frauen. Kategorien gab es nur zwei: Über und unter 40 Jahre. Bei den Männern siegte der italienische Skiroll-Langläufer Alberto Dalla Via, der bei der Finanzpolizei in Bruneck arbeitet, in einer Zeit von 48 Minuten. Zweitplatzierter war Ingemar Stuefer aus dem Sarntal, der gleichzeitig die Kategorie der über 40-Jährigen gewann. Dritter wurde Reinhard Kargruber aus Taisten. „Der Streckenrekord von 43 Minuten konnte heuer nicht in Angriff genommen werden, dafür waren die Bedingungen im oberen Streckenabschnitt zu eisig!“, sagt Organisator Niederkofler. Ein Ausrufezeichen setzte Karl Anton Pegoraro, der dank 30 Kilogramm Zusatzgewicht sich neun Minuten gutschreiben lassen und immerhin noch 77. werden konnte. Katharina Voppichler aus Weißenbach bewältigte die Strecke als einzige Frau unter einer Stunde und gewann damit das 70 Kilogramm Rennen. Zweite wurde mit einer Minute Rückstand Sarah Winkler, das Siegerpodest komplettierte Tanja Plaickner als Dritte. Im Vordergrund des 100-Kilo-Rennen stehe allerdings nicht die Platzierungen, für die allermeisten Teilnehmer war das Erreichen des Ziels eine tolle Herausforderung, bei der Spaß und Kampfgeist nicht fehlen durften erzählt Niederkofler: „Herausragend war ein Teilnehmer, der drei Steigen Apfelsaft mit hinauf geschleppt und diese oben für die Verlosung zu Verfügung gestellt hat, oder auch ein Starter der zum wiederholten Male dabei ist und jährlich eine Forst-Bierkiste auf den Rücken mit nach oben transportiert. Hauptsache alle hatten eine Gaudi!“ Eine befreundete Gruppe aus dem Zillertal, so der Organisator, habe sich die Mühe gemacht von Nordtirol aus die Überquerung per Ski ins Ahrntal zu machen, um am Abend beim 100-Kilo-Rennen antreten zu können. Im Ziel auf der K1 Hütte gab es für jeden Finisher einen Teller Nudel und ein Freigetränk. Auf die drei Topplatzierten der jeweiligen Kategorien warteten speziell angefertigte Holztrophäen und bei der anschließenden Verlosung gab es zudem tolle Sachpreise zu gewinnen, auch ein origineller „Potzapreis“ durfte nicht fehlen. „Die heurige Ausgabe hat die Erwartungen nach zweijähriger „Coronapause“ übertroffen. Die Verlegung des Events vom Donnerstag auf den Samstag hat auch auswertige Teilnehmer angelockt“, zeigt sich Niederkofler zufrieden. Das 100-Kilo-Rennen wird es also mit Sicherheit auch nächstes Jahr geben! (MT)