Es gibt in Mittel- und Nordeuropa nur ganz wenige Städte, die weiter als ins Mittelalter zurückreichen. Die meisten heute existierenden Städte wurden erst damals gegründet.
Die Voraussetzungen für mittelalterliche Städtegründungen
Es gab in den Städten Bürger, die auch Ackerbau und Viehzucht betrieben, aber der Ertrag reichte auch in Kleinstädten zur Selbstversorgung nicht aus.
Daher achteten die Städtegründer sehr genau darauf, eine Stadt in einer Landschaft ideal zu positionieren und ihr Gedeihen sicher zu stellen, weil sie nur dann in den Genuss der verhofften Einnahmen kamen. Der Talkessel von Bruneck hatte einige Voraussetzungen für eine erfolgversprechende Stadtgründung. Einmal bot er sich im Kleinen als Begegnungs- und Marktort für die Bevölkerung von vier Talschaften an. Das war das Gadertal im Süden, das Tauferer-Ahrntal im Norden und das Unter- und das Oberpustertal im Westen und im Osten. Aber auch großräumigere Verbindungsstraßen kreuzten sich hier. Die Strada d´Alemagna, die alte Handelsstraße von Augsburg nach Venedig, führte durch das Pustertal bis Toblach, bog dort ins Ampezzanische ab und weiter ins Cadore. Weniger bedeutsam, aber doch nicht zu unterschätzen, waren die Wege über die verschiedenen Jöcher, die vom Ahrntal aus über den Alpenhauptkamm ins Zillertal und in den Pinzgau führen. Sie spielten nicht nur im lokalen Handel eine Rolle, und das weit über das Mittelalter hinaus, wie uns Zollordnungen aus der Mitte des 17. und des 18. Jahrhunderts bestätigen. Weil das mittlere Pustertal auf Grund der klimatischen Voraussetzungen ein relativ ertragreiches Getreideanbaugebiet war, gelang es in normalen Zeiten, eine Stadt mit gut 1.000 Einwohnern – mehr dürfte Bruneck in den ersten Jahrhunderten seines Bestehens nicht gezählt haben – aus ihrem Umland mit Nahrungsmitteln zu versorgen.
Merkmale einer mittelalterlichen Stadt
Man erkennt eine mittelalterliche Stadt an mehreren Merkmalen. Eines davon ist das Marktrecht, das einer Stadt verliehen wird. Schon vor der Gründung der Stadt Bruneck gab es einen berühmten und viel besuchten mehrtägigen Markt im benachbarten Stegen, das damals zu St. Lorenzen gehörte. Dieser Markt, der im Mittsommer anlässlich des Patroziniumsfestes von St. Lorenzen (10. August) stattfand, wurde nach der Gründung der Stadt unter dem Namen Lorenzimarkt nach Bruneck verlegt und dauerte in seiner besten Zeit sogar 14 Tage. Das Marktrecht wurde dann immer mehr ausgebaut. Zum Jahrmarkt kam ein Wochenmarkt, der am Samstag abgehalten wurde. Das Recht dazu verlieh Kaiser Karl IV. der Stadt Bruneck im Jahre 1370. Später kamen weitere Jahrmärkte dazu, bis Bruneck deren fünf zählte, den Maien-, Sonnwend-, Lorenzi-, Petri- und Nikolaimarkt. Der aktuelle Marktkalender führt insgesamt zehn Vieh- und Krämermärkte an, die in Bruneck stattfinden.
Ein weiteres Merkmal der Stadt sind die Freiheiten, die den Bewohnern – im Gegensatz zu den auf dem benachbarten Land lebenden Menschen – gewährt wurden. Unter den Bürgern der Stadt, die sich zunächst vor allem aus Händlern und Gewerbetreibenden rekrutierten, welche sich um den Markt herum ansiedelten, gab es keine Unfreien. Der sicher anziehendste Werbespruch der mittelalterlichen Städte lautete: „Stadtluft macht frei.“ Wenn einem Unfreien die Flucht in die Stadt gelang und er sich dort über Jahr und Tag (= ein Jahr und einen Tag lang) aufhielt, war er frei und musste nicht mehr zu seinem Herrn zurück. Wir wissen, dass es im Mittelalter auch in Tirol noch Unfreie zuhauf gab. Trotzdem dürfte eine Stadt wie Bruneck hinsichtlich der Befreiung dieser Menschen kaum eine Rolle gespielt haben. Die verschiedenen Stadtordnungen sahen nämlich vor, dass kein Unfreier oder Höriger als Inwohner aufgenommen werden durfte. Eine Erklärung für diese Bestimmung ist schnell gefunden. Der Bischof verfügte auch über Unfreie. Sie wären ihm abhanden gekommen, wenn seine Stadt sie als Inwohner aufgenommen und so frei gemacht hätte. Wir werden später sehen, dass die Bewohner der Städte keine klassenlose Gesellschaft waren, trotzdem genossen sie größere Freiheitsrechte als die auf dem Lande lebende Bevölkerung.
Die Gründung der Stadt Bruneck
Städte waren gemäß den Perspektiven ihrer Herren und Gründer immer auch Markierungspunkte ihrer Macht und Orte der Herrschaftssicherung. Das traf auch auf Bruneck zu. Zwar hatte Kaiser Heinrich IV. im Jahre 1091 die Grafschaft im Pustertal an den Bischof von Brixen übertragen, aber 150 Jahre später waren von dem Machtteppich, den die Bischöfe mit dieser Erwerbung über das Tal gebreitet hatten, nur noch einzelne Flecken übrig. Die weltliche Herrschaft über den größten Teil des Landes war an die Grafen von Tirol und die Grafen von Andechs gegangen. Der Bischof von Brixen verfügte nur noch über mehr oder weniger reichen Grundbesitz im mittleren Pustertal und die oft zitierte, aber schon damals politisch nicht allzu wirksame geistliche Macht. Es war das Verdienst des Bischofs Bruno von Kirchberg, der von 1250-1128 Bischof von Brixen war, dem es gelang, gerade während seines Episkopates die auftretenden Schwächen der weltlichen Kontrahenten um Macht und Einfluss im Lande geschickt ausgenützt zu haben und mit der Gründung von Burg und Stadt Bruneck den Pustertaler Kernbereich für Jahrhunderte der bischöflichen Herrschaft erhalten zu haben. Die Grafen von Tirol und die Grafen von Andechs waren um die Mitte des 13. Jahrhunderts am Aussterben. Kurz vor seinem Tode (1253) erlitt Albert III., der letzte Graf von Tirol, bei Greifenburg in Kärnten gegen den Salzburger Erzbischof eine arge militärische Niederlage, als er versuchte, seine Machtposition und die seiner designierten Erben, der Grafen von Görz, im Oberkärntner Raum auf Kosten der Salzburger Erzbischöfe auszubauen. Er geriet in Gefangenschaft und musste sich nicht nur mit viel Geld freikaufen, sondern obendrein die beiden jungen Görzer Grafen, Meinhard II. und Albert II., als Geiseln stellen. Genau diese Schwächeperiode der Tiroler und der Görzer Grafen nützte Bischof Bruno von Kirchberg, um durch den Bau von Burg und Stadt Bruneck sich im mittleren Pustertal eine Machtbastion zu errichten, die dann auch gegen die wieder erstarkten Grafen von Görz-Tirol gehalten werden konnte.
Dafür, dass die Stadt Bruneck an dem Ort erbaut wurde, wo sie heute noch steht, gibt es mehrere Ursachen. Einmal gehörte der Grund und Boden dem Bischof, denn schon um das Jahr 1000 hatte eine edle Frau namens Suanihilt ihren Besitz in Ragen (Ragouva) in der Grafschaft Pustertal dem Bischof Albuin von Brixen geschenkt. Die Ortschaft Ragen ist älter als die Stadt Bruneck. Noch heute wird die Brunecker Oberstadt, die sich nordöstlich des Oberen Stadttores zur Pfarrkirche hin erstreckt, Oberragen oder Oberdorf genannt. Der gegenüberliegende Stadtteil am rechten Rienzufer heißt Außerragen. Die Bezeichnung Unterragen könnte einst für das Gebiet der heutigen Altstadt verwendet worden sein, ist dann aber abgekommen, weil Bischof Bruno als Stadtgründer auf sehr selbstbewusste Art und Weise der neuen Stadt und der dazugehörigen Burg seinen Namen gab. Bedenkt man die landschaftlichen Gegebenheiten im Pustertaler Talkessel, dann war der Platz, auf dem Stadt und Burg erbaut wurden, vom Standpunkt der Sicherheit aus gesehen ideal. Die Häuser drängten sich im östlichen Stadtbereich zwischen Rienzbett und Schlossberg, sodasss man sich hier das Ausheben eines Stadtgrabens vor der Mauer ersparte. Die über der Stadt thronende Burg wurde bald schon in das Befestigungssystem der Stadt einbezogen und durch einen Wehrgang mit den Wohnhäusern der Bürger verbunden, sodass sie als jederzeit zu erreichende Fluchtburg genutzt werden konnte.
Natürlich sind Burg und Stadt Bruneck nicht innerhalb eines Jahres erbaut worden. Im Jahre 1256 wird Bruneck erstmals genannt. Damals übergab Bischof Bruno dem Kloster Wilten die Pfarre Ampaß in Nordtirol, und das tat er mit einer Urkunde, die „aput Bruneke“ (bei Bruneck) ausgestellt wurde. Dann folgen einige weitere Nennungen. 1276 stand die Burg von Bruneck, das castrum Bruneke, bereits. Es dauert dann bis ins beginnende 14. Jahhrhundert, dasss wir vom Bau der Stadtmauer erfahren. Im Jahre 1305 erließ Bischof Johannes Sax fünfzehn namentlich genannten Brunecker Bürgern die Stadtsteuer, wenn sie in den nächsten vier Jahren an der Ringmauer um die Stadt bauten, und zwar jeweils ein Stück, das so breit war wie ihr Haus und vier Klafter (ca. 8 m) hoch. Nach dem Verständnis des Mittelalters war Bruneck erst mit der Vollendung der Stadtmauer eine wirkliche Stadt. Daher können wir aus der Tatsache, dass Bruneck im Jahre 1133 als Stadt (daz Brunnek in der stat) bezeichnet wird, schließen, dass damals der Bau der Stadt und der sie umgebenden Mauer in etwa abgeschlossen war.
Weder Meinhard II. von Görz Tirol noch dessen Bruder Albert II, dem nach der Teilung des görz-tirolischen Herrschaftsgebietes im Jahre 1271 das Pustertal zugefallen war, waren über die bischöfliche Stadtgründung im zentralen Pustertal erfreut. Als die Gründung nicht verhindert werden konnte, versuchte man zunächst die Marktentwicklung und dann die Stadtwerdung zu hintertreiben, was aber letztlich nicht gelang, obwohl Bruneck von der görzischen Macht völlig eingekreist war. Die Herrschaften Michelsburg mit St. Lorenzen, Schöneck mit Ehrenburg und Kiens und die Lamprechtsburg in unmittelbarer Nähe zu Bruneck waren zumindest zeitweise in der Hand der Grafen von Görz. Die Verleihung des Marktrechtes an Mühlbach, das Meinhard II. als Konkurrenz zu Bruneck aufbauen wollte, war ebenso eine machtpolitische Reaktion des Landesfürsten auf die Stadtgründung im Herzen des Pustertales wie auch die Gründung der Stadt Sterzing. Vor allem aber muss den Bischof der Erwerb der bis dahin zum Hochstift Brixen gehörenden Herrschaft Rodeneck durch Meinhard II. im Jahre 1269 getroffen haben, denn das rodeneckische Gebiet reichte seit der Zeit bis an die Stadtgrenzen von Brixen.
An sich möchte man meinen, dass angesichts der Tatsache, dass die eben erst gegründete Stadt Bruneck so mächtige Feinde hatte, dem Bischof daran gelegen sein musste, die Bürger von Bruneck durch Privilegien an sich zu binden, um sie davon abzuhalten, von braven bischöflichen Untertanen zu ebensolchen görzischen bzw. – ab 1500 – tirolischen zu werden. Das schon genannte Privileg eines Wochenmarktes im Jahre 1370 kann man unter diesem Aspekt sehen, ebenso die Verleihung der Hochgerichtsbarkeit an das Stadtgericht im Jahr danach. Bis dahin lag diese beim görzischen Landrichter von Michelsburg, der vom Bischof eingesetzte Brunecker Stadtrichter konnte nur Fälle entscheiden, die unter die niedere Gerichtsbarkeit fielen. Beide Privilegien wurden der Stadt von Kaiser Karl IV. verliehen, und zwar auf Ersuchen von Johann von Lenzburg, Bischof von Brixen von 1364-1374. Wenn der Bischof der Stadt Privilegien verschaffte, dachte er ein bisschen auch an die Vorteile, die er daraus zog. Wenn es sich aber um Freiheiten handelte, die der Stadt mehr Autonomie zu Lasten des Hochstiftes brachten, hielt der Bischof die Bürger eher an der kürzeren Leine. Das galt nicht nur für Bruneck, sondern auch für Klausen und vor allem für Brixen, die anderen zwei zum Hochstift gehörenden Städte.
Die hohe Gerichtbarkeit wurde auch Blut- oder Malefizgerichtsbarkeit genannt. Sie umfasste Verbrechen, die an Hals und Hand d. h. mit dem Tode oder mit Verstümmelung des Leibes, bestraft wurden. Unter diese Gerichtsbarkeit fielen Mord, Totschlag, Raub, Brandlegung, Notzucht, schwerer Diebstahl, Verrat, Fälscherei und Ketzerei. Die niedere Gerichtsbarkeit umfasste leichtere Strafsachen, für die man die Sammelbezeichnung Unzucht und Frevel verwendete, und Streitsachen um Besitz, Schulden und Verträge. Die Delikte waren an Haut und Haar (mit Gefängnis, körperlicher Züchtigung, Pranger, Zwangsarbeit) oder mit Geldbußen zu sühnen. (RT)
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