Teil IV – Wie die Stadt regiert wurde. Was die Herrschaft über die Stadt anging, gab es meist keinen Unterschied zwischen einer von einem Bischof gegründeten Stadt und einer Stadt, die einen weltlichen Stadtherrn hatte. Zunächst übte der Stadtherr die Herrschaft aus, und zwar in jeder Beziehung.
Erst allmählich überließ er den Bürgern der Stadt bestimmte Rechte, die diese mehr oder weniger autonom ausüben konnten. In Bruneck wurde wahrscheinlich noch im 13. Jahrhundert der Burg- oder Stadthauptmann als höchster weltlicher Regierungsvertreter des Bischofs von Brixen eingesetzt. Dieses Amt wurde nie zu Lehen verliehen, sodass die Gefahr, dass es erblich werden würde, gering war. Seit ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert der Stadthauptmann von Brixen gleichzeitig auch Stadthauptmann von Bruneck war, saß auf der Burg von Bruneck nur mehr ein Hauptmannschaftsverwalter. Zu den Pflichten des Hauptmannes bzw. des Hauptmannschaftsverwalters gehörte die Überwachung des Stadtgerichtes und dessen Verwaltung sowie die Organisation der Huldigung der Stadt an den (neuen) Bischof und dessen Unterbringung im Schloss, wann immer er in der Stadt war.
Ein eigenes Amt kümmerte sich vorwiegend um die bischöflichen Einnahmen aus der Grundherrschaft im Raume von Bruneck. Bis zur Gründung der Stadt saß der Amtmann, der diesen Grundbesitz verwaltete und auch die niedere Gerichtsbarkeit über die Urbarhöfe ausübte, in Aufhofen (Ansitz Ansiedl). In der Stadt hatte der Amtmann zunächst seinen Sitz im Haus Hohenzorn (3. Stadtviertel, am Pallplatz gelegen, später Haus des Ursulinenkaplans). Dann übersiedelte er in die Unterstadt (2. Stadtviertel, heute Haus Nr. 14, ehemals Gasthof Kirchberger). Dieses Amt übten lange Zeit Bürger von Bruneck aus, ab der Mitte des 16. Jahrhunderts wurden sie von Brixner Kleinadeligen abgelöst. Zu seinen wichtigsten Aufgaben zählte die schon erwähnte Verwaltung des Urbarbesitzes des Bischofs, dann die Eintreibung der Küchensteuer und der Extraordinari – und Ordinaristeuer hatte und die Aufsicht über die Wälder und die Jagd und Fischerei und die Einteilung des Rodfuhrwesens. Die Zentrale der Rodfuhr lag mit dem Pallplatz und dem Pallhaus in der Unterstadt, wo heute das Ursulinenkloster steht. Dort mussten die (meist zu Ballen gebundenen) Waren, die durch die Stadt durchgeführt wurden, abgeladen und auf der Pallwaage gewogen werden. Die Waren durften nicht etwa frei verführt werden, den Transport übernahmen auf der Strecke Mühlbach – Toblach einheimische Fuhrleute, die dafür natürlich zu bezahlen waren. Es gehörte zu den Pflichten der Inhaber der bischöflichen Maierhöfe im Raume Bruneck, den Fuhrpark und die Fahrer für die Rodfuhr zu stellen. Für sie war dieser Dienst in guten Zeiten ein Geschäft, da ihnen aber die Tarife vorgeschrieben wurden, waren sie die Leidtragenden, wenn etwa während des Dreißigjährigen Krieges die Tarife zurückgingen und noch dazu ihre Dienste wenig beansprucht wurden. Wie umständlich und zeitraubend das Fuhrwesen im Mittelalter und lange danach organisiert war, zeigt die Tatsache, dass es in Bruneck am Ende der Spitalgasse am heutigen Kapuzinerplatz die Zollscheibe gab. Es war dies die bischöfliche Zollstätte, wo die Waren verzollt werden mussten. Man kam nicht auf die Idee, die Verzollung und die Kontrolle der Waren im Pallhaus bzw. auf dem Pallplatz zusammenzulegen. Manchmal übernahm übrigens der Amtmann auch die Aufgaben eines bischöflichen Zöllners. Er war zeitweise so etwas wie das Faktotum des Bischofs im Raume Pustertal.
Schon der Stadtgründer Bischof Bruno verlegte das Marktgericht von Stegen nach Bruneck. Mit dem Aufstieg zur Stadt wurde aus dem Marktrichter der Stadtrichter. Solange dieser nur über die niedere Gerichtsbarkeit verfügte, mussten Verbrecher, deren Taten unter die Blutgerichtsbarkeit fielen, an der Stadtgrenze dem Landrichter von Michelsburg zur Verurteilung übergegeben werden. Im Jahre 1371 wurde durch das schon erwähnte Privileg Kaiser Karls IV. dem Stadtrichter auch die hohe Gerichtsbarkeit übertragen. Seither stand der Galgen als Zeichen des Hochgerichts auf dem Worberg (Hügel westlich des Schlossberges). Das Gebiet des Stadtgerichtes von Bruneck umfasste das Stadtgebiet und die nähere Umgebung (Eingrenzung: Perchener Höhe, Lamprechtsburg, Schlossberg, Worberg und Kühberg, Bahnlinie im Westen, Stegen, Breitenbergerhof, Stegener Felder im Norden bis zum Ziegler in St. Georgen, quer über die Dietenheimer Felder bis zur alten Straße nach Percha). Seit zirka 1500 war das Gericht Antholz mit dem Stadtgericht Bruneck in Personalunion vereint. Bis 1536 wurde der Stadtrichter von den Bürgern gewählt. Damals wurde der Richter erstmals vom Bischof ernannt, nachdem er vom Stadthauptmann vorgeschlagen und vom Hofrat in Brixen bestätigt worden war. Die Stadtrichter mussten Bürger der Stadt Bruneck sein (oder nach ihrer Bestellung werden). Sehr groß war der Einfluss des Stadtrichters in der Verwaltung der Stadt. Er war bei den Ratssitzungen nicht nur anwesend, sondern auch stimmberechtigt. Zusammen mit dem Bürgermeister war er für die Ordnung in der Stadt verantwortlich. Auch die Polizeigewalt lag in seinen Händen. Ihm oblag auch die Aufsicht über die Märkte, und dementsprechend kontrollierte er Maße und Gewichte.
In der Rechtsprechung standen dem Stadtrichter laut der von Kardinal Nikolaus Cusanus erlassenen Stadtordnung von 1460 ein Bürgerrat von zwölf Geschworenen zur Seite, ebenso zwei Fronboten oder Gerichtsdiener. Der wichtigste Gehilfe des Stadtrichters war aber der Stadtgerichtsschreiber, der nicht nur die Gerichts- und Ratsprotokolle schrieb, sondern auch alle möglichen Rechtsgeschäfte für die Stadt und für die Bürger dokumentierte. Ab 1600 hatte der Stadtrichter im ehemaligen Geschäftshause Mahl (heute Stadtgasse Nr. 28/30) im ersten Viertel der Stadt seinen Sitz.
Angesichts der Tatsache, dass der Stadtrichter , der über eine große Machtfülle verfügte, bis 1536 von den Brunecker Bürgern gewählt wurde, war deren „demokratische“ Beteiligung an der Stadtregierung ja doch irgendwie gegeben, auch wenn wir in den ersten Jahrzehnten nach der Stadtgründung keine Nachricht von der Bestellung eines Bürgermeisters oder eines Stadtrates haben. An der Stadtgeschichte Brixens lässt sich ablesen, dass der Bischof die Mitbestimmung der Bürger hintanzuhalten versuchte, solange es ging. Erst im Jahre 1531 wurde dort der Bürgerschaft ein Ausschuss eingeräumt, die Erlaubnis, dass dieser Ausschuss sich Stadtrat nennen durfte, wurde erst 1615 erteilt, nachdem ein diesbezügliches Ansuchen kurz vorher noch abgelehnt worden war mit der Begründung, die Zuerkennung des Ratstitels sei unnötig. In Bruneck verlief die Entwicklung anders. Bereits um 1424 war es üblich, dass der Bürgermeister von der Bürgerschaft auf ein Jahr (ab 1589 auf zwei Jahre) frei gewählt wurde. Das geschah auf dem ehehafft Taiding zu St. Michaelstag (ehehafft oder elich Taiding: Versammlung der Bürger und Inwohner, die jedes Vierteljahr und ab 1649 dreimal im Jahr stattfand). Die 1460 von Kardinal Nikolaus Cusanus der Stadt gewährte Ratsverfassung sah die Wahl von 16 Stadträten vor (je drei pro Stadtviertel und je zwei für das Oberdorf und für Ragen), was zur Folge hatte, dass die Stadt bereits Ende des 15. Jahrhunderts sich um ein Rathaus umschauen musste.
Der Stadtrichter hatte an jeder Ratsversammlung teilzunehmen und beaufsichtigte die gesamte Verwaltung der Stadt. Die Bürgerversammlung hatte das Recht, jährlich vier Ratsherrn abzuberufen, die durch den Richter und die verbleibenden Ratsherrn ersetzt wurden. Organe, die vor allem dem Bürgermeister zu Diensten zu sein hatten, waren die Viertelmeister. Die Stadt war ja – Oberdorf und Ragen eingeschlossen – in sechs Stadtviertel aufgeteilt. Die Viertelmeister hatten vor allem die Aufsicht über die Feuerstätten in der Stadt, mussten aber auch die Mannschafts- und Waffenlisten für die Bürgerwehr führen, die sogenannten Harnaschzedel (Harnischzettel). Mit den Tiroler Städten vergleichbar war Bruneck nur hinsichtlich der Existenz von Rat und Bürgermeister, denn aufgrund der starken Stellung des Richters war die Autonomie Brunecks deutlich schwächer ausgeprägt. Gegenüber der Bischofsstadt Brixen war Bruneck aber etwas im Vorteil, wenn auch das Ausmaß der Autonomie gar nicht so verschieden war. Letztlich fielen die wichtigen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen, welche die Stadt Bruneck betrafen, in der Hofburg zu Brixen. Was im Brunecker Rathaus von Bürgermeister und Stadtrat entschieden wurde, geschah immer unter der Kontrolle der bischöflichen Beamten. Nach einer schon im Mittelalter verbreiteten Meinung lebten die Menschen unter der Herrschaft eines Bischofs oder Klosters besser als jene, die einen weltlichen Grundherrn über sich hatten („Unter dem Krummstab ist gut leben.“). Vergleicht man aber die Rechte, die mittelalterliche Tiroler Städte genossen, die den Tiroler Landesfürsten als Stadtherrn hatten, mit jenen der bischöflichen Städte (Brixen, Bruneck, Klausen), dann muss man jenen Historikern Recht geben, die von „retardierenden Elementen“ in der Verfassungsentwicklung der Bischofsstädte gegenüber weltlichen Städten sprechen und von wenig Spielraum für bürgerliche Freiheiten. (RT)
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