Mit den Chancen und Risiken der Mehrsprachigkeit im Bildungswesen haben sich Führungskräfte der Kindergärten und Schulen gestern und heute bei der traditionellen Herbsttagung befasst.
Die Führungskräfte der deutschsprachigen Kindergärten und Schulen sind auf Einladung der Deutschen Bildungsdirektion am gestrigen Dienstag und heutigen Mittwoch (18. und 19. Oktober) im Sozialwissenschaftlichen Gymnasium in Brixen zu ihrer diesjährigen Herbsttagung zusammengetroffen. Namhafte Referenten und Referentinnen beleuchteten das Thema Mehrsprachigkeit. Bildungsdirektor Gustav Tschenett eröffnet die Veranstaltung mit dem Zitat von Ludwig Wittgenstein: „Die Grenzen einer Sprache sind die Grenzen einer Welt.“ Er erklärte: „In Südtirol haben wir mit den drei Sprachgruppen eine besondere Situation, die in den letzten Jahren durch die Zuwanderung noch komplexer geworden ist. Es ist eine große Herausforderung, allen Kindern und Jugendlichen gleiche Bildungschancen zu gewährleisten.“ Die Deutsche Bildungsdirektion beschäftigt sich schon seit vier Jahren mit dem Thema Mehrsprachigkeit. Einige der Ziele seien erreicht worden, weitere Möglichkeiten würden unter die Lupe genommen. Im Sinne Wittgensteins wünschte Tschenett allen Tagungsteilnehmenden, „dass wir mit einer erweiterten Weltsicht diese Tagung verlassen“. Die Koordinatorin der Arbeitsgruppe Mehrsprachigkeit, Evi Schwienbacher, führte dann ins Tagungsthema ein, indem sie auf das Bildungsziel verwies, allen jungen Menschen Wege zur Bildung sowie faire Bildungschancen zu ermöglichen.
Sprachförderung stärkt kognitive Entwicklung
Der Germanist und Sprachlehr- und Sprachlernforscher Hans-Jürgen Krumm forderte in seinem Vortrag: Mehrsprachigkeit solle ein Leitkriterium der Schulentwicklung für Schülerinnen und Schüler in einer vielsprachigen Gesellschaft sein. Durch eine zunehmend zusammenwaschsende Welt sei Sprachenvielfalt gängig, Sprache aber oftmals eine Eintrittskarte und Sprachungerechtigkeiten eine Folge. Krumm unterstrich: „Wir unterrichten nicht Sprachen, wir unterrichten Menschen. Sprachförderung stärkt die kognitive Entwicklung und Mehrsprachigkeit ist eine wertzuschätzende Kompetenz.“
Zwischenergebnisse einer Studie präsentierten die Eurac-Forscherinnen Verena Platzgummer und Nadja Thoma. Mit dem ethnografischen Projekt zur Förderung der Mehrsprachigkeit an den Südtiroler Kindergärten zeigten sie auf: „Wenn Kinder erfahren, dass ihre sprachlichen Ressourcen gleichwertig, wertvoll und nützlich sind, kann ihr Selbstvertrauen gestärkt werden.“
Bewusstsein für sprachsensiblen Unterricht
Landesrat Philipp Achammer betonte: „Es ist uns gemeinsam gelungen, an den Schulen ein Bewusstsein für einen sprachsensiblen Unterricht zu schaffen. Was es jetzt nicht braucht, ist ein für alle Schulen gültiges Modell der Mehrsprachigkeit. Vielmehr gilt es, Lösungen für die einzelnen Schulrealitäten zu finden.“ Mit dem Blick darauf gerichtet, was die Schule der Zukunft leisten sollte, sagte Landesrat Achammer: „Fördern wir im Schulalltag bei Kindern und Jugendlichen verstärkt das Vertrauen und Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten. Geben wir ihnen Perspektiven und Selbstwirksamkeit mit, weil diese den Kindern und Jugendlichen Sicherheit verleihen und deren Resilienz in dieser herausfordernden Zeit stärkt.“
Barbara Gross von der Freien Universität Bozen erläuterte die sprachlich-kulturelle Heterogenität vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe zweiten Grades aus einer erziehungswissenschaftlichen Perspektive. Die Sprachforscherinnen Sabrina Colombo und Marta Guarda stellten die Analyse einer Studie mit 614 Dozenten im Rahmen des Projektes SMS 2.0 „Sprachenvielfalt macht Schule“ vor. Zum Abschluss erläuterte Judith Purkarthofer von der Universität Duisburg Essen, wie sich sprachliche Dynamiken in Familien entwickeln und in welcher Weise Bildungsinstitutionen sich dies zunutze machen können. Zudem wurden ein interkulturelles Sprachprojekt des Unterlandes sowie die Sprachförderung und sprachliche Bildung an der Landesberufsschule Savoy vorgestellt. Auch die Technologische Fachoberschule Bruneck präsentierte ihren mehrsprachigen Unterricht in Form von Teamunterricht. (red/jw)
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