„Ich hatte immer viel Glück im Leben.“
Dr. Erwin Messner war Tierarzt aus Leidenschaft. Mit Güte und Dankbarkeit blickt der 85-Jährige auf ein erfülltes Leben zurück.
Herr Dr. Messner, erzählen Sie uns von ihrer Arbeit, die veterinärtechnisch nicht mit der heutigen zu vergleichen ist …
1966 schloss ich mein Studium der Veterinärmedizin in Wien ab und erhielt 1967 eine Anstellung zur Erhebung von Tuberkulose und Brucellose sowie zur Impfung der Tierbestände in den Gemeinden Sand, Ahrntal, Prettau und Mühlwald. Als junger Tierarzt wurde ich schon bald auch zu heiklen Eingriffen gerufen wie zu Kaiserschnitten bei Kühen, was damals noch ein absolutes Novum war. Für meinen ersten Kaiserschnitt wurde ich in einer kalten Winternacht zum Niedersteinerhof in Luttach gerufen und mit der Materialseilbahn hinauf zum Hof befördert. Dort angekommen, sah ich nur die Möglichkeit eines Kaiserschnittes, um Mutterkuh und Kalb zu retten. Hierzu fehlten mir aber die Instrumente. Also nochmal mit der Materialseilbahn nach unten, medizinische Geräte holen, wieder hinaufschweben zum Hof und durchgefroren und nervös setzte ich zum ersten, 35 cm langen Schnitt am Bauch der Kuh an. Es ging alles gut, Mutterkuh und Kalb erholten sich rasch. Auch eine Drillingsgeburt beim Pichlerhof in Rein geht in diese Zeit. Die Eingriffe waren oft sehr schwierig. Die ärztlichen Instrumente mussten damals noch mit kochendem Wasser vor Ort sterilisiert werden, in den Ställen gab es meist nur eine Funzel Licht, auf manchen Höfen gar keinen Strom.
Wie erreichten Sie die Höfe, zumal kaum Straßen hinaufführten?
Meistens mit der Materialseilbahn, da die Zeit drängte und ein Fußmarsch zu lang gedauert hätte. Ein mulmiges Gefühl begleitete mich immer, weil die Seilbahnen sicherheitstechnisch recht rudimentär waren und obendrein kaum gewartet. Ich erinnere mich an Bahnfahrten bei Sturmwind, wo sich das Zugseil beinahe in die schwankenden Äste der Bäume verfangen hätte, oder an eine Fahrt im Auge eines Gewitters. Mehr als ein Dutzend Mal schrammte die Bretterkiste samt mir haarscharf an einer Katastrophe vorbei. Wenn Schneesturm eine Seilbahnfahrt unmöglich machte, stapfte ich zu Fuß durch meterhohen Schnee. Und wenn die Straße nach Prettau wegen Lawinengefahr gesperrt war, fuhr ich trotzdem weiter, um dem Vieh der Bauern zu helfen. Auf der Fahrt nach Rein rauschte einmal kurz vor mir eine Lawine herab. Zurückblickend waren meine Risikobereitschaft und der Wille zum Helfen meist größer als analytisches Hinterfragen der Situation. Eine Gratwanderung. Ich habe oft viel Glück gehabt!
Auf den Höfen gab es ja auch noch kein Telefon …
Meine Frau Greti, ich lernte sie im Laufe meiner Ausbildung kennen, machte für mich den Bürodienst und koordinierte die täglichen Einsätze. Wenn mich ein Bergbauer brauchte, musste er zuerst zum nächsten Gasthof ins Tal, um mich von dort anzurufen. War ich z. B. bei einem Einsatz in Prettau und fuhr anschließend talauswärts, so galt mein erster Blick dem Zaun beim Gasthof Garber in St. Jakob. Hing dort kein weißes Leintuch, war alles in Ordnung und ich konnte weiterfahren. Hing eines, kehrte ich ein und erfuhr dort meinen nächsten Einsatz, den dort vorab meine Frau telefonisch oder irgendein Bauer gemeldet hatten. Soviel zur Telekommunikation anno 1970.
Eine recht stressvolles Leben also?
Ja, schon, aber ich kannte es nicht anders. Mit der Sanitätsreform Anfang der 1980er-Jahre ergab sich für mich dann ein neues Arbeitsfeld als Amtstierarzt in Bruneck, und zwar die Untersuchungen für Tuberkulose, Brucellose und IBR, eine virusbedingte Infektionskrankheit bei Rindern, zu übernehmen. Das große Einzugsgebiet um Bruneck bedeutete wiederum viel Arbeit. Als Ende der 1980er eine Stelle als leitender Koordinator für den tierärztlichen Dienst für das gesamte Pustertal frei wurde, bewarb ich mich und erhielt die Stelle. Das Arbeitspensum war immer noch groß, aber zumindest logistisch entspannter. Und das bis zu meiner Pensionierung 2002.
Gab es da noch Platz für Hobbys?
Um den Kopf frei zu kriegen spielte ich Tennis, fuhr Ski, ging fischen oder kraxelte auf die Berge. Im Urlaub reiste ich in den 1990ern nach China, nach Russland oder zu den Galapagos-Inseln. Weiters war ich Präsident im Pfarrgemeinderat und ehrenamtlich Friedensrichter. Seit 1981 singe ich im Männerchor Taufers – und das bis heute. Auch das Garteln ist nach wie vor meine große Leidenschaft. Mit der Pensionierung eröffnete sich mir ein neuer, wunderbarer Lebensabschnitt, ich genieße ihn und blicke auf ein schönes, erfülltes Leben zurück. (IB)