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Verabredung im Grünen

Für die einen ist Waldbaden ein Megatrend, für die anderen eine esoterische Randerscheinung. Der Puschtra wollte wissen, was es mit dieser neuen Form des Walderlebnisses auf sich hat und hat dazu mit dem Experten für “Alpines Waldbaden“ Martin Kiem und dem Waldbadeninstruktor Christian Putzer gesprochen.

Psychologe, Autor und zertifizierter
Forest Therapy Guide, Martin Kiem.

Waldbadeninstruktor
Christian Putzer.

Puschtra: Herr Kiem, Sie sind zertifizierter Forest Therapy Guide und haben gemeinsam mit Karin Greiner einen Zertifikatslehrgang “Alpines Waldbaden“ entwickelt. Was ist “Alpines Waldbaden“?
Martin Kiem: Es gibt keine universelle Definition von Waldbaden, es ist auch kein geschützter Begriff. Für mich ist Waldbaden auf eine ganz spezifische Art und Weise eine Verbindung zum Wald herzustellen. Eine Praxis, eine Methode, wie wir wieder mit der Natur generell in Verbindung treten können. Es ist eine Methode, um Naturverbundenheit zu fördern. Wir verwenden einige Charakteristiken für das Waldbaden: Die Achtsamkeit, die Langsamkeit, die Körper und Sinneszentriertheit…Damit ist Waldbaden ein entschleunigender Ansatz um den Wald achtsam, bewusst und sinneszentriert zu erfahren. Alpines Waldbaden oder auch Waldbaden sind in ihrer Kernessenz nicht zu unterscheiden, d.h. der Ansatz: achtsam, langsam und sinneszentriert durch den Wald zu gehen bleibt derselbe, beide Formen haben aber unterschiedliche Ansätze, was das jeweilige Ökosystem betrifft: es macht nämlich einen Unterschied, ob ich in einem Auenwald in Deutschland oder im alpinen Gelände in Südtirol unterwegs bin. Beim alpinen Waldbaden wird der alpine Raum mit den heimischen Bäumen, Sträuchern usw. entsprechend berücksichtigt.

Was geschieht beim Waldbaden in unserem Körper?
Wenn wir uns Studien zum Waldbaden ansehen, dann wirkt sich diese Herangehensweise, die Natur zu erfahren, auf viele Menschen positiv aus, weil sie die großen Gesundheitssysteme in unserem Körper unterstützt: so zum Beispiel das Nerven-, das Hormon- und das Immunsystem. So ist diese Form von Naturerlebnis entspannend und beruhigend für unser Nervensystem – aktiviert das parasympathische Nervensystem. Dazu haben Studien gezeigt, dass positive Auswirkungen auf das Hormonsystem möglich sind, weil Hormone dadurch stabilisiert werden können. Regelmäßige Aufenthalte in der Natur können damit die Ausschüttung vom sogenannten Stresshormon Cortisol regeln. Dazu ist heutzutage die Stärkung des Immunsystems wichtig: unser Immunsystem wird durch diese Form der Naturerfahrung konditioniert und trainiert.

Wem empfehlen Sie das Bad im Wald?
Wir wissen mittlerweile dass Lebensstilmedizin sehr wichtig ist, um Gesundheit zu halten und zu fördern und da gibt es bestimmt Säulen: eine ausgewogene Ernährung, ausreichende Bewegung, Stressmanagement, soziale Beziehungen und die relative neue Säule der Ökopsychologie, also die Beziehung von uns Menschen zur natürlichen Umgebung in der wir leben. Um diese Ressourcen sollten wir uns kümmern! Deshalb ist für mich Waldbaden einfach eine nützliche Gesundheitsvorsorge für jeden und jede.

Welche Aufenthaltsdauer empfehlen Sie, um aktive Gesundheitsvorsorge zu betreiben?
Sich zwei bis drei Mal in der Woche, ein bis zwei Stunden im Wald aufzuhalten, wirkt sich zum Beispiel schon positiv auf die Stabilisierung des Stresshormones (Cortisol) aus. Man kann sagen: Je regelmäßiger, häufiger und länger ich mich aufhalte, desto positiver wirkt es. Es gilt immer die Menschen dort abzuholen, wo sie gerade stehen, denn es kann auch sein, dass diese Methode jemandem nicht zusagt, weil er damit nichts anfangen kann! Denn es gilt: um Menschen zu helfen, versuche das zu finden, was ihnen guttut, aber auch was ihnen liegt!

Wo liegen denn die Ursprünge dieses “Spazierens“ im Wald?
Für mich ist die Kernessenz des Waldbadens die Naturverbundenheit und das ist die Grundqualität des Menschen, weil wir als Menschen ein Teil der Umgebung sind, auch wenn wir es in den letzten 200 Jahren vielleicht vergessen oder vernachlässigt haben. Deshalb hat in diesem Sinne das Waldbaden auch niemand erfunden, weil es schon immer da war. Wenn wir jetzt über die Begrifflichkeit sprechen, kann ich sagen, dass der Begriff aus Japan kommt, weil es dort in den 80er-Jahren eine Marketingkampagne für gestresste Großstädter gegeben hat, die den Begriff ‘Shinrin Yoku‘ ‘Eintauchen in die Waldatmosphäre – Waldbad‘ geprägt hat. In Deutschland gibt es das Konzept der ‘Erholungswälder‘ aber schon viel länger, das auch in das Konzept des Waldbadens mit eingeflossen ist.

Sie führen Gruppen zum Waldbaden in Südtirol, Österreich und Deutschland. Wie reagieren die Menschen auf diese Art des “Spazierengehens“?
Im Allgemeinen sehr gut würde ich sagen! Ausschlaggebend ist allerdings, dass sich die Teilnehmer für das Waldbaden entschieden haben, weil diese Form des Naturerlebnisses doch außergewöhnlich ist! Für jemanden der meint, dass es beim Waldbaden um wandern im Wald oder sogar einen Waldlauf geht, kann das Ergebnis dann schon etwas eigenartig sein: Denn ich gehe in den Wald, des Waldes Willens…mit allen Sinnes- und Wahrnehmungs-Instrumenten, die mir zur Verfügung stehen, tauche ich in den Wald ein.

Inwieweit ist Waldbaden in Südtirol – als Möglichkeit die eigene Gesundheit zu fördern – in der Bevölkerung angekommen?
Im Tourismus ist das Walbaden gut angekommen, weil es Möglichkeiten hat dem Gast etwas Neues anzubieten. Was mich aber besonders freut, ist, dass für das Waldbaden auch Interesse vom Bildungssektor heraus – Lehrer, Schüler und Kindergartenkinder – entsteht. Es stellt auch eine Form von Bildung dar in der Natur unterwegs zu sein. Ansonsten führe ich auch Gruppen aus dem Gesundheitsbereich in die Natur. Beim Zertifikatslehrgang “Alpines Waldbaden“ nehmen unterschiedliche Personen aus unterschiedlichen Berufen teil – an die 40 Prozent sind Einheimische.

Gemeinsam mit Universitäten forschen Sie zum Thema Waldbaden. Gibt es Ergebnisse dazu?
Mit der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) in Salzburg haben wir eine Studie ausgearbeitet. Mit knapp 100 TeilnehmerInnen haben wir in Algund einen Vergleich angestellt: Eine Woche Waldbaden oder eine Woche Wandern! Die Studie hat ergeben, dass das Waldbaden einige spannende Ergebnisse gebracht hat: so wurde festgestellt, dass das Waldbaden den Blutdruck senkt, den Stress reduziert sowie die Stimmung hebt und auch das Blutbild verändert. Das Resümee dazu hat gezeigt, dass beide Interventionen – das Wandern als auch das Waldbaden – gesundheitsförderlich sind, aber besonders spannend war, dass das Waldbaden für eine Personengruppe hilfreich sein kann, die nicht mehr wandern kann, also die in ihrer Mobilität eingeschränkt ist.

Wie sieht die Zukunft für das Waldbaden Ihrer Meinung nach aus?
Gesundheit und Natur sind – nicht nur in Südtirol, sondern weltweit – die beiden großen Trends der Zukunft. Das Waldbaden ist für mich deshalb ein Megatrend, da es beide Bereiche bedient. Damit das Waldbaden gesellschaftlich Fuß fassen kann, braucht es natürlich auch die Entscheidungsträger und die Wissenschaft, die das Waldbaden voranbringen.

Waldbadeninstruktor Christian Putzer

Puschtra: Herr Putzer, Sie haben an der Deutschen Akademie für Waldbaden & Gesundheit Ihre Ausbildung zum Waldbadeninstruktor absolviert. Warum haben Sie sich für diese Ausbildung entschieden?
Christian Putzer: Mein Leben und meine Tätigkeiten waren bisher vollgepackt mit Action und von Schnelligkeit geprägt: ich bin ausgebildeter Rettungssanitäter, Canyoningführer, Bergwanderführer, Bergretter und noch einiges mehr und ich übe diese Ausbildungen auch beruflich aus. Die Zeit wurde immer hektischer und die Menschen rundherum auch. Wenn ich in den letzten Jahren mit Waldbaden-Gruppen in der Natur unterwegs war, habe ich beobachtet, dass viele Menschen sehr getrieben sind von Leistung und Zeitdruck. Die Natur rings um uns wird gar nicht mehr wahrgenommen. Stress und Hektik fördern gesundheitliche Probleme und beeinträchtigen die Lebensqualität. Persönlich war es mir deshalb ein Anliegen einen langsameren Weg einzuschlagen und mich als Waldbadeninstruktor ausbilden zu lassen.

Was überzeugt Sie am Waldbaden?
In erster Linie überzeugt mich an diesem Naturerlebnis die Ruhe und Stimmung, die im Wald herrscht. Zudem ist der Blickwinkel auf die Welt beim Waldbaden ein ganz anderer: Wenn wir zum Beispiel Moos unter der Lupe betrachten, tut sich für uns eine völlig neue Welt auf. Die Natur wird bis ins kleinste Detail betrachtet, wird sozusagen zerlegt, aber ohne sie zu zerstören! Das macht für mich die Faszination Waldbaden aus.

Sie begleiten Gruppen im Pustertal in den Wald. Welche Gebiete bevorzugen Sie?
Ich hole die Gruppen meist bei den Hotels oder an einem vereinbarten Treffpunkt ab und wir begeben uns dann zu Fuß direkt in den Wald. Das Auto wir nur in Ausnahmefällen benutzt, so etwa, wenn sich kein Wald in der Nähe befindet. Es ist nicht wichtig, in welchem Wald wir Waldbaden, jedes Waldstück ist geeignet, es sollte nur nicht zu steil sein. Deshalb bin ich im ganzen Pustertal in den Wäldern unterwegs.

Was ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste beim Waldbaden?
Zeitlos zu sein, loszulassen, Handy ausschalten und den Wald und die Natur einfach zu genießen!

Welches Potenzial sehen Sie in Zukunft für das Waldbaden?
Manche Menschen neigen dazu, Waldbaden direkt in eine esoterische Ecke zu schieben, doch die positiven Effekte des Waldbadens sind wissenschaftlich zahlreich belegt. In Deutschland oder Österreich wird das Waldbaden als Therapie bereits teilweise durch das staatliche Gesundheitssystem finanziert und ist damit in der Bevölkerung angekommen. Tief in der Bevölkerung verwurzelt ist das Waldbaden allerdings in Japan. In Italien stecken wir da noch in den Kinderschuhen, was sehr schade ist. Bis jetzt ist es so, dass diese Form des Naturerlebnisses vor allem im Südtiroler Tourismus angekommen ist, aber es ist meiner Meinung nach noch viel Luft nach oben: zum Beispiel für Menschen in sozial-pädagogischen Strukturen. (TL)