Die Natur braucht uns nicht!

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Die Natur braucht uns nicht!

Unser Klima ist aus dem Gleichgewicht geraten. Vor was Experten seit Jahrzehnten warnen, ist nun auch bei uns angekommen: Artensterben, Gletscherschmelze und extreme Wetterphänomene gehören jetzt zu unserem Alltag. Der Puschtra hat sich mit Klaus Graber in unserer unmittelbaren Umgebung, den Ahrauen, umgesehen.

Herr Graber, Sie sind Vorsitzender des Vereins „Naturtreff Eisvogel eo“ und setzen sich seit mehr als 25 Jahren für die Natur ein. Was treibt Sie an?
Klaus Graber: Ich bin sehr gerne in der Natur und dementsprechend groß ist mein Bezug dazu. Es hat bereits in meiner Kindheit angefangen, denn ich war sehr oft mit meinem Hund im Wald unterwegs und konnte so viel beobachten und entdecken. Mittlerweile muss ich die Zeit finden, um ins Freie zu kommen, das ist schon etwas schade. Doch die Natur ist und bleibt für mich die Oase zum Kraft tanken.

Seit Jahrzehnten sind Sie auch mit Tier-Beobachtungsgruppen in den Ahrauen unterwegs. Was konnten Sie in diesem Gebiet – was den Klimawandel angeht – in den letzten Jahren beobachten.
In den vergangenen Jahren hat sich in den Ahrauen sehr viel getan und ich muss sagen, dass die positiven Aspekte durchwegs überwiegen. Ziel unseres Vereins ‘Naturtreff Eisvogel eo‘ war es vor allem, das Bestehende zu erhalten, was uns Großteils gelungen ist. Dazugekommen sind die Renaturierungen verschiedener Flussabschnitte, was die Qualität als Lebensraum erheblich verbessert hat. Erschreckend ist jedoch, dass trotz all dieser Bemühungen auch in den Ahrauen ein Artenschwund stattgefunden hat. Dieser Artenschwund in unseren Talböden ist mehreren Faktoren zuzuordnen, deshalb ist es schwierig diese genau zu klassifizieren. Als Hauptgrund für das Artensterben gilt der enorme Verbrauch an natürlichen Ressourcen, die Verbauung und Versiegelung, die Intensivierung der Landwirtschaft, die negativen Faktoren eingeschleppter Tier- und Pflanzenarten, Licht-, Luft und Wasserverschmutzung und natürlich die spürbaren Folgen des Klimawandels.
Was das Wasser betrifft, ist von Jahr zu Jahr eine Verschlechterung spürbar. Im Winter führt die Ahr viel weniger Wasser als noch vor einigen Jahren. Zudem fließt im Sommer vermehrt Gletscherwasser im Flussbett, was ein deutliches Zeichen für das Schmelzen der Gletscher darstellt. Dieses trübe Wasser enthält Feinsegmente und Ablagerungen, die sich über Jahrtausenden in den Gletschern gespeichert haben und die die Wasserqualität maßgeblich beinträchtigen. Es hat immer schon Schwankungen und wasserarme Winter gegeben, aber seit Jahren sinken nun die Wasservorräte tendenziell und das ist sehr bedenklich.

Klaus Graber, Vorsitzender von „Naturtreff Eisvogel eo“.

Der Verein kümmert sich um die Erforschung der Verbreitung einzelner Tier- und Pflanzenarten im Pustertal. Was konnte bis jetzt in diesem Bereich erreicht werden?
Als bestes Beispiel des Artensterbens könnte ich hier das Insektensterben nennen: Den enormen Rückgang an verschiedensten Insektenarten. In den letzten 30 Jahren wurde ein Rückgang von bis zu 80 Prozent festgestellt. Der Schwund an der Insektenzahl gilt in der Ökologie als besonders problematisch, da Insekten vielen anderen Arten als Nahrung dienen, beispielsweise Fischen, Amphibien oder Vögeln. Was Vogelarten anbelangt, haben wir als Verein durch unsere erhobenen Daten einen guten Überblick erhalten. Diese Erhebungen werden in unserem Verein, der mittlerweile über 800 Mitglieder zählt, von Hobby Ornithologen gemacht. Diese Beobachtung lassen klar erkennen, dass ein ständiger Abwärtstrend an Arten und Anzahl der verschiedenen Vogelarten zu verzeichnen ist.

In Ihrem Vorwort zum Eisvogel-Jahresbericht 2022/23 schreiben Sie, dass jede 8 Tier- und Pflanzenart vom Aussterben bedroht ist! Was können Sie uns zum Artensterben bei uns berichten?
Leider verschwinden viele Tier- und Pflanzenarten oft unbemerkt, wo es oft keine schnelle Erklärung dafür gibt. Ein Beispiel dafür ist das Verschwinden der Smaragdeidechse im Pustertal. Seit über zehn Jahren gibt es leider keinen Nachweis mehr über diese wunderschöne und in Volksmund als „Gruine“ bekannte Tierart. Auch der Laubfrosch ist aus unserer Landschaft verschwunden und gilt für ganz Südtirol als Ausgestorben. Ein weiteres trauriges Beispiel ist der Dohlenkrebs, der durch den eingeschleppten nicht heimischen Flusskrebs, den Signalkrebs verdrängt worden ist. Das Verschwinden dieser Arten stimmt mich besonders traurig, bedenkt man, dass der Dohlenkrebs seit Millionen von Jahren auf unserer Erde existierte und damit zu den ältesten Lebewesen der Erde zählt. In gab es schon vor den Dinosaurier und er hat sogar die Eiszeit überlebt, jedoch wir Menschen haben es nun geschafft ihn auszurotten. Darüber lohnt es sich nachzudenken und es ist höchste Zeit zum Handeln. Weitere Beispiele für den enormen Artenschwund sind viele Bodenbrüter, also Vögel, die ihr Nest auf dem Boden bauen, wie die Feldlerche, das Braunkehlchen, das Rebhuhn oder die Wachtel. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft und die vielen freilaufenden Hunde und Katzen finden die Vögel kaum Brutmöglichkeit, um ihre Jungen aufzuziehen. Für die meisten Menschen bleibt dieses Verschwinden jedoch unbemerkt.

Die Mitglieder des Vereins „Naturtreff Eisvogel“ führen auch Ausreisaktionen gegen nicht heimische Pflanzenarten, den Neopyten durch. Welche Arten sind dabei besonders betroffen?
Die bekanntesten Neopyten sind der ‘Kanadische Goldregen‘, der ‘japanische Knöterich‘ und das ‘indische Springkraut‘. All diese Arten verdrängen heimische Tier- und Pflanzenarten. Mit gezielten Aktionen in den Biotopen versuchen wir diese Verbreitung einzugrenzen. Genaue Termine zu den Aktionen und Infoveranstaltungen sind auf unserer Internetseite www.eisvogel.it ersichtlich und im Herbst veranstalten wir einen Vortrag darüber.

Sie schreiben: „In der Natur ist alles in einem Netz des Lebens verbunden, und jede verlorene Art kann eine Kettenreaktion auslösen…“. Können Sie diese Aussage anhand eines Beispiels festmachen?
Als Beispiel eignen sich hier vor allem die Verbreitung von Mücken und Zecken. So haben sich verschiedenste Mücken- und Zeckenarten auch bei uns im Pustertal in den letzten zehn Jahren extrem verbreiten können. Vor zehn Jahren hat es im Pustertal noch kaum Zecken gegeben, jedoch mittlerweile kommen sie nicht nur entlang der Auen vor. Durch fehlende Nützlinge wie Igel, Vögel oder verschiedenster Amphibien und mildere Winter haben sich diese Arten extrem vermehren und verbreiten können. Die Natur ist aus dem Gleichgewicht und gerade Mücken und Zecken übertragen auch für den Menschen gefährliche, ja zum Teil lebensgefährliche Krankheiten.

Andererseits wurde in den letzten Jahren über die Rückkehr von Tierarten berichtet, die in Südtirol nicht mehr beheimatet waren, so zum Beispiel, der Wolf, der Schakal, die Europäische Wildkatze und der Biber. Wie beurteilen Sie diese Phänomene?
Für die Natur sind dies positive Nachrichten für den Menschen bringen sie immer wieder neue Probleme und Herausforderungen. Genauso wie auch der Borkenkäfer aus dem Blickwinkel der Natur betrachtet – eine große Chance für die Artenvielfalt sein kann, weil aus einer Monokultur aus Fichtenwäldern, artenreiche Laubwälder entstehen können. Für den Menschen ist diese massive Ausbreitung dieses Käfers vor allem ein riesiger wirtschaftlicher Schaden. Fakt ist: Wir brauchen die Natur, um zum Überleben jedoch die Natur braucht uns nicht! Vieles ist im Umbruch und die Natur holt sich irgendwann ihren Raum zurück. Wir Menschen werden mit Sicherheit auf vieles, das heute noch als selbstverständlich ist, verzichten müssen. Und ob wir weiterhin ein Teil dieser Natur sein können wird bis zuletzt von der Bereitschaft abhängen, maßgeblich bescheidener mit allem umzugehen, was uns der liebe Gott geschenkt hat.

Insgesamt 60 bis 80 Helfer unterstützen jährlich die Aufräumaktionen an der Ahr.

In den Ahrauen wurden immer wieder Revitalisierungsmaßnahmen durchgeführt. So zum Beispiel 2022 in der Gaisinger Gatzaue und in der Stegener Ahraue. Welche Auswirkungen haben solche Arbeiten auf die Natur?
Der Lebensraum für viele Tier und Pflanzenarten konnte verbessert werden. Es sind neue Tümpel und Kiesbänke entstanden, die für verschiedenste Arten Lebensraum bieten. Besonders Frösche und Kröten finden wieder Laichgewässer und verschiedenste Wasserinsekten wie Libellen profitieren davon. Zugleich gibt es wieder mehrere Brut- und Fressmöglichkeiten für verschiedene Vögel, so zum Beispiel für den Eisvogel, wo sich der Bestand in den letzten Jahren verbessert hat. Zudem sind diese sogenannten ‘Flussaufweitungen‘ auch ein wichtiger Beitrag zum Rückhalt von Hochwasser und Stabilisierung vom Grundwasser.

Ein erfolgreicher Schutzstatus für solche Gebiete wie die Ahrauen ist zum Beispiel das „Natura 2000 – Netzwerk der Europäischen Union“. Die Ahrauen sind aber nur zum Teil als „Natur 2000 Gebiet“ ausgewiesen?
Ja, das stimmt, die Ahrauen sind nur zum Teil als Natura 2000 Gebiet und somit als europäisches Vogelschutzgebiet ausgewiesen. Jedoch gilt mittlerweile für Auwälder zum Glück ein internationaler verankerter Schutz. Erst im März 2023 wurde nach Jahrzehnter langen Bemühungen albanischer und internationaler Umweltaktivisten der albanische Fluss „Vjosa“ als „Wildfluss-Nationalpark“ ausgewiesen. Dort hat man endlich erkannt, dass die Zerstörung wichtiger ökologischer Netzwerke langfristig auch wirtschaftliche Nachteile mit sich bringen. Hoffentlich ist man auch bei uns bereit in den Talböden zusätzliche Flächen zur Revitalisierung bereitzustellen. (TL)