Südtirol – Das Leben in Südtirol ist schön, aber auch teuer! Bei immer mehr Familien wird das Geld am Monatsende immer knapper. Was sind die Gründe für diese hohen
Lebenshaltungskosten und wie kann die Situation entschärft werden?
Diese Fragen haben wir Stefan Perini, dem Direktor des Arbeitsförderungsinstituts (AFI) gestellt. Unbezahlbare Immobilien, hoher Lebensstandard und niedrige Löhne. Die hohen Lebenshaltungskosten belasten in Südtirol nicht nur die Arbeitnehmer:innen, sondern die gesamte Bevölkerung. Bestätigung hierfür gibt die Winterausgabe des AFI-Barometers. Im Sonderteil des Barometers wurden durch eine Befragung von Arbeitnehmer:innen die Ursachen für das hohe Preisniveau in Südtirol gesucht. AFI-Direktor Stefan Perini fasst zusammen: „Südtirols Arbeitnehmende machen vor allem sogenannte “Nachfragefaktoren“ für die hohen Lebenshaltungskosten verantwortlich, während die schwache Lohndynamik darauf zurückzuführen ist, dass Südtirol in kollektivvertraglichen Verhandlungen zu stark an Italien orientiert bleibt.“
AFI-Direktor Stefan Perini.
Herr Perini, im aktuellen AFI-Barometer haben Sie die Meinungen von Südtiroler Arbeitnehmer:innen zu den Lebenshaltungskosten eingeholt. Können Sie uns erklären, was die Befragung enthält?
Stefan Perini: Einer der Schwerpunkte im AFI-Tätigkeitsprogramm sind für dieses Jahr das Thema der Lebenshaltungskosten. Die entscheidende Frage, der wir nachgehen wollen ist, warum die Lebenshaltungskosten in Südtirol deutlich höher sind als im übrigen Italien. Um Antworten zu finden, wollen wir hier zwei verschiedene Ansätze verfolgen. Zum einen wollen wir die Wahrnehmung der Arbeitnehmer:innen in Südtirol in dieser Frage einholen, zum anderen über eine vertiefende Analyse der Entwicklung der Verbraucherpreise nach Ausgabekapiteln vornehmen. Im Zeitraum zwischen dem 1. und 20. Dezember 2024 wurden 500 Arbeitnehmer:innen befragt. Die Befragung enthielt eine Reihe von möglichen Antworten bei denen die Interviewten eine Bewertung zwischen 0 (völlig unbedeutend) und 10 (absolut relevant) abgeben sollten. Wir haben festgestellt, dass alle vom AFI vorgegebenen Faktoren in der Befragung eine Rolle spielen – die einen mehr, die anderen weniger.
Die Befragung hat ergeben, dass die hohen Lebenshaltungskosten die gesamte Südtiroler Bevölkerung belastet. Was sind die Ursachen?
Ja, der Rest der Südtiroler:innen ist von dieser Entwicklung natürlich auch nicht ausgeschlossen, sondern genauso, wie die Arbeitnehmer:innen, betroffen. Für die Ursachen der hohen Lebenshaltungskosten haben sich zwei Faktoren in der Befragung als bedeutend herauskristallisiert: Zum Ersten die überhitzten Immobilienmärkte und zum Zweiten der hohe Lebensstandard. Dort, wo es einen hohen Lebensstandard gibt, ist auch das Preisniveau hoch. Diese beiden entscheidenden Faktoren werden gefolgt von der hohen Gästepräsenz und dem hohen Qualitätsstandard. Offensichtlich sind die Südtiroler:innen qualitätsorientierter als die Konsumenten im restlichen Italien und dieses Verhalten betrifft nicht nur die Lebensmittel, sondern zieht sich konsequent durch verschiedene Sparten. Das hebt natürlich die Preise. Auch der gut dotierte Landeshaushalt schafft Nachfrage, was bei unverändertem Angebot die Preise nach oben treibt. Zu diesen Faktoren reihen sich noch einige, weniger relevante Ursachen hinzu. (siehe Grafik)
In Südtirol sind die Lebenshaltungskosten um 20 Prozent höher als im restlichen Italien. Warum dieser Unterschied?
Nun, das AFI hat in einer früheren Studie, die auf einer Methodik der italienischen Zentralbank – Banca d’Italia basiert, diese 20 Prozent ermittelt. Dazu ist zu sagen, dass auch die Inflation (die Preisteuerung in einem bestimmten Zeitraum – 1,7 Prozent waren es im Jahresschnitt 2024) bei uns auch höher ist, als auf nationaler Ebene. Das bedeutet – kurz gefasst – dass die Preise höher sind und stärker steigen, als das im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt der Fall ist. Die Preisschere zwischen Südtirol und Italien geht also zunehmend auseinander. Eine weitere Frage, die wir uns in diesem Zusammenhang gestellt haben, ist: Warum tun sich die Löhne so schwer, dieser höheren Preisdynamik standzuhalten? Diese hohen Lebenshaltungskosten wären an sich ja kein großes Problem, wenn auch die Löhne entsprechend hoch wären (ein Beispiel dazu wäre die Schweiz). In Südtirol ist es aber so, dass die Löhne den Preisunterschied nicht wettmachen. Als meist genannten Grund geben die Befragten hier an, dass Gebiets- und Betriebsabkommen zu schwach entwickelt sind. Es bräuchte hier Sektorenabkommen bzw. auch Betriebsabkommen, die dem höheren Niveau der Lebenshaltungskosten Rechnung tragen. Zugleich orientieren sich die Löhne zu stark an den nationalen Kollektivverträgen. Denken wir zum Beispiel an Lehrende an staatlichen Schulen, Bahnpersonal, Ordnungskräfte usw. die auf dem gesamten Staatsgebiet gleich viel verdienen. An dritter und vierter Stelle kommt von den Befragten auch Kritik an der Politik und den Sozialpartnern: dass die Landespolitik zu wenig arbeitnehmerfreundlich ist und bei den Entscheidungsträgern in der Politik und den Gewerkschaften Wissen und Kompetenz fehlen. Weitere Faktoren haben dann weniger Gewicht. (siehe Grafik)
Der wichtigste Preistreiber ist laut Befragten der Immobilienmarkt gefolgt vom hohen Lebensstandard. Was ist für die hohen Preise in diesem Sektor ausschlaggebend?
Die Preise sind immer das Resultat von Angebot und Nachfrage und in Südtirol gibt es leider Wohnungsnot. Das Angebot zum Kauf oder zur Miete von Wohnungen ist knapp, aber die Nachfrage ist groß. Diese kommt sowohl von Einheimischen, die eine Erstwohnung suchen, als auch von auswärtigen Personen, die Südtirol als Zweitwohnsitz nutzen wollen. Das Ergebnis sind hohe Preise, die sich in absehbarer Zukunft auch nicht so schnell verändern werden. Eine Mitverantwortung der Politik kann nicht abgestritten werden: Die Wohnbauförderung des Landes ist dazu da, einer breiten Bevölkerungsschicht das Wohnen zu ermöglichen. Dieses Beitragssystem hat sich seit Jahrzehnten nicht verändert, die Lebensgewohnheiten der Südtiroler:innen allerdings sehr wohl. Hier geht der Trend in Richtung kleinere Haushalte, die Menschen sind mobiler und wechseln öfters den Lebensmittelpunkt, Familienbiografien werden brüchiger usw. Die Wohnbauförderung spiegelt diese heutigen Lebens- und Wohngewohnheiten nicht mehr wider.
Wie kann diese Situation entschärft werden?
Die Lebenshaltungskosten werden in erster Linie von den Marktpreisen der Konsumprodukte bestimmt und diese können in einer freien Marktwirtschaft von den Produzenten festgelegt werden. Es gibt wenige Produkte, wo die öffentliche Hand oder der Staat die Preise vorgibt, deshalb kann das Land nur sehr bedingt in den Preismechanismus eingreifen. Es gibt kleine Bereiche, wo das Land eingreifen kann, Beispiele wären die öffentliche Mobilität, oder bei den Tarifen bei Schulmensen oder bei der Kinderbetreuung. Bei der Mehrwertsteuer oder den Akzisen kann hingegen der Staat regulierend eingreifen, wie er es bei der Energiekrise vor einigen Jahren bereits gemacht hat, um die Steigerung der Energiekosten abzumildern. Was immer gut ist, um die Preise zu senken, ist ein gesunder Wettbewerb. Deshalb tut ein Land gut daran, dass gute Wettbewerbsbedingungen herrschen. Monopol- oder Oligopolstellungen fördern das Gegenteil. Auch in Südtirol existieren marktdominierende Positionen, die nicht zum Vorteil der Konsumierenden sind.
Wann kann man in Südtirol mit einer Verbesserung dieser Situation rechnen?
Nun, um diese Frage beantworten zu können, müsste man Hellseher sein (lacht). Wir im AFI sehen es als unsere Aufgabe dafür einzutreten, dass das Verhältnis Lohn- und Lebenshaltungskosten wieder ins Lot kommt. Wie gesagt, wird es schwierig sein, die Lebenserhaltungskosten in Südtirol zu senken. Auf der anderen Seite muss sich das Land aber bemühen, Konkurrenz zuzulassen und zu fördern, sowie darauf zu achten, dass es keine marktdominierenden Positionen gibt. Vor allem aber sollte es darum gehen, die Löhne zu erhöhen, um auf diese Weise den Wohlstand zu halten.
Sind weitere Forschungen zu diesem Thema geplant?
Wir bemühen uns, dieses Thema wissenschaftlich zu vertiefen, indem wir Mithilfe von weiteren Statistiken hinterfragen, was die Ursachen für diese hohen Lebenshaltungskosten sind. Dabei bleiben wir unserem Fernziel treu: Mit einem Vollzeitlohn muss ein würdiges Leben in Südtirol möglich sein.
TL
Immobilienmarkt, hoher Lebensstandard und Tourismus
Als wichtigsten Faktor für das hohe Preisniveau in Südtirol nennen die Befragten den Immobilienmarkt (Durchschnittliche Bewertung: 7,24), dicht gefolgt von dem hohen Lebensstandard (7,18). Geringere Bedeutung hat die „hohe Gästepräsenz“ (6,94), „hohe Qualitätsstandards“ (6,80) und der „üppige Landeshaushalt“ (6,76). Weniger relevant erscheinen die „ineffiziente Verteilungsstruktur“ mit zu vielen Zwischenhändlern (6,44), beherrschende Marktpositionen (6,40), die Vollbeschäftigung und hohe Personalkosten (6,32), die kleinstbetriebliche Struktur (6,25) und die geringe Produktivität im tertiären Sektor (6,05).
Orientierung an Italien und Landespolitik
Dass die Löhne in Südtirol nicht mit den Lebenshaltungskosten Schritt halten, wird vor allem auf zwei Faktoren zurückgeführt: 1.) schwache Entwicklung der Gebiets- und Betriebsabkommen (Durchschnittliche Bewertung: 7,06). 2.) zu starke Orientierung an nationalen Kollektivverträgen (6,79). Eine Rolle spielen: die Landespolitik wird als wenig arbeitnehmerfreundlich wahrgenommen (6,67), Fehlen von Kompetenz bei den Entscheidungsträgern (6,64). Weniger Gewicht haben: Arbeitnehmende verhandeln ihre Löhne lieber individuell mit ihrem Arbeitgeber (6,59), Gewerkschaften sind nicht ausreichend gut vertreten (6,54), besser bezahlende Unternehmen steuerlich nicht genug belohnt (6,53). An letzter Stelle steht die Eigenkritik, dass Arbeitnehmer:innen nicht genügend bewusst ist, dass sie gemeinsam mehr erreichen können als allein (6,52).